Schau mir in die Augen, Kleines!


Der aufmerksame Leser hat sicherlich vor der Rückkehr nach Nikosia auf dem gestrigen Ausflug etwas vermißt. Richtig, abgesehen davon, daß die Rückfahrt von Aya Napa aus recht eilig verlief, ist es nicht zum versprochenen Bad im Meer gekommen, bei dem wir uns ja von Hektik und Lärm erholen wollten. Was war der Grund dafür? Nun, es ließen sich einige finden! Daß das dortige Touristenmassenneppen nicht unser Geschmack ist, könnte Grund genug sein. Aber auch ein Sandsturm könnte dazwischengekommen sein. Richtig gelesen. Auf einem unserer Ausflüge bemerkten wir zwischen Aya Napa und Larnaka einmal, wie die Sicht plötzlich schlechter wurde. Meine Frau dachte an Nebel, während ich es für hoch gehende Gischt hielt, da es vom Wasser her kam. Die wahre Erklärung kam dann aber bald, als es immer dunkler wurde und die Scheiben eine gelbliche Tönung annahmen. Dabei kann man allerdings von Sturm nicht reden. Es ist ein leichter Wind, der dem feinen Staub aus der Sahara über das Meer trägt und die Umgebung in ein geheimnisvolles Dunkel taucht. Besonders einprägend war es einmal in Larnaka, in den ersten Wochen, die ich damals auf Zypern war und mich noch manches beeindruckte, einfach weil es neu war. Ich ging in der Abenddämmerung spazieren und vor der Lazaruskirche-so benannt, weil sie einst die Gebeine des selbigen Heiligen beinhaltet haben soll- fielen mir die Lichtkegel der Autos auf, die sich aus der Stadt kommend auf mich zu fraßen. Es war zu dunkel für die frühe Abenddämmerung und als ich merkte, daß Scheinwerfer und Lampen die Gebäude und insbesondere die sehenswerte Fassade der Kirche nicht wesentlich erleuchteten, sondern sie in goldigen Schimmer tauchten, wurde mir klar, daß hier eine Prise Afrika herüberkam.

Nun, das also hätte der Grund sein können für unsere unverzügliche Rückkehr. Aber auch ein ganz anderer, nämlich eisiger Wind, der von Anatolien Schnee herüberbringt. Diesem allzu seltenen Phänomen soll hier aber nicht viel Aufmerksamkeit eingeräumt werden, weil wir uns lieber auf für Zypern Typisches konzentrieren wollen, wie z.B. die Madonnen-Ikone, die z.Z. im Kykkos-Kloster Tränen weint, wozu der leibhaftige Chrisostomos, erwähnter Erzbischof, gestern gesagt hat, daß das als eine Warnung von Maria zu verstehen sei, wieder auf den Weg des Glaubens zurückzufinden. Ach, der Gute! Zurück zum Thema. Ganz kurz doch noch zum Schnee. Wie sich das Gehirn doch weigern kann, eine Mitteilung des Auges angemessen zu verarbeiten! Heute morgen lag Nikosia unter einer geschlossenen Schneedecke und als ich im Zwielicht aus dem Fenster sah, wunderte ich mich über die Nebelflocken und den vielen Nebel auf Dächern, Autos und Kakteen. Als mir dann klar wurde, um was es sich wirklich handelt, machte mein Herz einen Freudensprung in Vergangenheit und Ferne. Schnee! Kindheit, Schlitten, Familie, die Hügel des Lipperlandes, alles war hier, für eine Sekunde in Nikosia.

Ich lief ins Schlafzimmer, zog die Jalousien hoch, weckte meine Frau, die-zugegeben- morgens immer etwas länger braucht um die Faktoren des Daseins wieder wahrzunehmen und zu einem Ganzen zusammenzubasteln. Zwar kam sie meiner Bitte mal rauszusehen erstaunlicherweise unverzüglich nach, verstand aber nach zwei geschlagenen Minuten Hinausblinzeln immer noch nicht, was ihre Augen ihrem Hirn meldeten. Aber dann plötzlich schoß sie hoch und mit einem Freudenschrei und lauter oh, oh, ohs lief sie von Fenster zu Fenster in der Wohnung entzückt über jeden neuen Blick. So sah man dann im Laufe des Morgens überall hinter den Fenstern staunende Menschen stehen, an meinem ersten Morgen in Zypern, der ohne Hektik verlief. Es schneit nicht oft im Leben eines Zyprioten, außer oben im Troodos, und vor allem bleibt er kaum für mehrere Stunden liegen. Und nun, da er weggeschmolzen ist und die Sonne wieder von einem wolkenlosen Himmel scheint, nehmen wir uns eine weitere Route vor, um unsere Götter zu suchen. Diesmal suchen wir in der Gegend von Limassol und im Hinterland.

Diesmal geht es an der Autobahnverzweigung nach rechts. Schon bald weisen uns Schilder darauf hin, daß wir hier durch den "Wald der Vermißten" fahren. Man hält zunächst vergeblich Ausschau nach dem Wald, erkennt dann aber durchaus, daß er durch vereinzelt angepflanzte Bäumchen wenigstens angedeutet ist, die allerdings kaum die Chance haben, einmal zu einem erwachsenen Wald zu werden angesichts der seit Jahren andauernden Dürre, die jetzt im Februar schon Anlaß für Wasserrationierungen ist. Eine einzige Überschwemmung im Jahr reicht nicht.

Mit dem Problem der Vermißten wird man auf Schritt und Tritt konfrontiert und ohne es hätte das Zypernproblem den tragenden Teil seiner Dramatik verloren. Bilder von einigen der Vermißten schmücken die Wände an der Straßensperre in der Ledra-Straße und Angehörige, die an der Aktion teilnehmen, die Touristen daran hindert, am Grenzübergang in den Norden zu gehen, halten Fotos vor ihrer Brust. Daß das Schicksal dieser 1679 Menschen, die während oder kurz nach der Invasion verschwunden sind, unaufgeklärt ist, ist schlimm genug, daß es die zentrale Rolle in dieser schmutzigen, antitürkischen Propagandamaschinerie spielt, ist eine kaltschnäutzige Verhöhnung der Toten und ihrer Angehörigen, die zum Teil immer noch auf ein Lebenszeichen hoffen. Bis zum heutigen Tage haben alle zypriotischen Regierungen diese Vermißten mißbraucht, indem sie gebetsmühlenartig der Öffentlichkeit versichert haben, daß diese noch leben und von den Türken als Geiseln gefangengehalten werden.

Die UN-Komission in Nikosia, die sich seit Jahren mit dem Material befaßt, hat kein einziges Schicksal aufgeklärt. Ein schweizerisches Mitglied dieser Kommission, ein Bekannter von uns (worauf ich allerdings keinen Wert lege) antwortete auf die Frage, warum er eigentlich so lange in Zypern sei lässig, und das ist mit starkem französischen Akzent zu lesen: "to train my back-hand", also um seine Rückhand beim Tennis zu trainieren, und natürlich seinen Alfa-Romeo mit den Diplomatenschild spazieren zu fahren. Vermißte hat es auf beiden Seiten gegeben. Als vor wenigen Wochen Denktasch in einem Fernsehinterview offen sagte, daß diese Vermißten wahrscheinlich in den Wirren des Krieges umgebracht und in Massengräbern verscharrt worden seien, ging ein Aufschrei durch den Süden und alle Griechen schrien im Chor: Mörder! Lügner! Schlagt ihn tot. Am nächsten Tag erlitt Denktasch einen Herzinfarkt.

Hier wird die Landschaft wahrhaftig richtig ein wenig lieblich. Hier und da hingepflanzte Zypressen lassen das Hügelland wie eine bescheidene Toskana-Imitation wirken. Und hier ist dann auch nach links die Abfahrt, die zum berühmten Stavrovouni-Kloster führt, steil, hoch hinauf auf die Spitze eines Felsens. Von der Autobahn aus kann man bei guter Sicht erahnen, daß es sich bei den Steinen auf dem Gipfel auf Grund ihrer regelmäßigen Züge um einen Gebäudekomplex handelt. Vom Meer aus gesehen, von wo Plünderer nach Beuteplätzen Ausschau hielten, sieht auch das schärfste Auge bei bester Sicht nur Felsen, die bestenfalls einem Adlerhorst Baugrund bieten können.

Hoch hinauf ziehen sich enge Serpentinen zum Adlerhorst, der sich erst, wenn man ganz kurz vor dem Ziel ist, als verwinkelter Gebäudekomplex entpuppt, der wie eine nicht recht angepaßte Krone etwas unsicher auf dem Haupt sitzend Halt zu suchen scheint. Eindrucksvoller als das Gebäude selbst, ist die Sicht, die man von hier oben über ungefähr die Hälfte der Insel hat, nach Osten, Süden und Südwesten bis über die Küsten und ihre Städte bis weit aufs Meer hinaus, nach Norden über Nikosia hinweg auf das Pentadaktilos, das der Blick auf die Nordküste versperrt. Im Westen wird der Blick von der Silhouette des Troodos-Gebirges begrenzt.

Den männlichen Lesern kann empfohlen werden, das Kloster in Augenschein zu nehmen. Mit all seinen verwinkelten Räumlichkeiten, den Ikonen, den beiden Krypten, in deren einer die Mönche des Kreuzesberges = Stavrovouni begraben werden, ist es sehenswert. Den weiblichen Lesern kann man Ähnliches nicht empfehlen, da ihnen schlicht der Zugang verboten ist, was von Touristinnen als Diskriminierung angesehen wird. Ich würde das nicht so kraß beurteilen. Dazu kann ich mich zu gut an den armen Mönch erinnern, der im Kykkos-Kloster, das auch Besucherinnen geöffnet ist, mit offenem Mund die dem Klima entsprechend leicht bekleideten Damen anstarrte, während sein Willie fast aus der Kutte sprang. Vielleicht ist ein Grund, warum in allen Nonnen-Klöstern männliche Besucher erlaubt sind, daß die weibliche Reaktion nicht so deutlich wahrnehmbar ist.

Vorsichtig geht es die Serpentinen wieder hinunter während zypriotische Besucher hupend an unserem Wagen vorbeirauschen. Aber das tun sie später auf der Autobahn nach Limassol auch. Die Landschaft ist auf dieser Strecke lieblicher als die nach Larnaka, immer ein bißchen hügelig, etwas grüner und nicht so bebaut. Nur ab und zu steht an einem Hügelhang hundert oder zweihundert Meter von der Autobahn eine gerade fertiggestellte Villa, deren architektonische Ungeheuerlichkeit entweder von der Rokkoko-Barock-postmodernen Überzeugung des Product-Designers oder von der Selbstdarstellungswut des Bauherren oder von beidem zeugt.

Daß Besitz und Wohlstand auch gezeigt werden müssen ist ja nichts, das nur in diesem Lande üblich ist und somit auch wenig verwundert. Ein bißchen Stutzen läßt den Außenstehenden jedoch, daß auch Anschaffungen gemacht werden müssen, die unsichtbar bleiben, wie z.B. die Luxuslimousine des Nachbarn meiner Schwiegereltern. Der arme Wagen steht seit drei Jahren in der Garage und sieht nie das Tageslicht. Eben dieser Nachbar schaffte sich einen Jagdhund an, nachdem er es wohl nicht mehr mit seinem Stolz vereinbaren konnte, daß der andere Nachbar, der links von meinen Schwiegereltern, zwei Jagdhunde hat, die übrigens auf dem Flachdach des Betonklotzes hausen, von dem sie oft stundenlang herunterbellen.

Der Jagdhund des rechten Nachbarn nun hat die Eigenschaft nachts unaufhörlich zu heulen. Er lebt in einem Verschlag, den er nur zur Jagdzeit verläßt und keinerlei Auslauf hat, was das bewegungsbedürftige Tier sicher zum durchdrehen bringt. Die Lösung des Problems ist zypriotisch genial: man hat sich entschlossen, dem Tier die Stimmritzen kappen zu lassen. Weiter möchte ich mich zur Tierliebe in diesem Lande nicht äußern. Wer will, kann den letzten Jahrgang der englischsprachigen Tageszeitung "Cyprus Mail" durchsehen und wird dort Leserbriefe finden, in denen Touristen ihren Entschluß, nie wieder Zypern zu besuchen, damit begründen wie viehisch die Menschen hier mit Tieren umgehen.

Kurz, d.h. einige Minuten Fahrzeit nach diesen Villen mit dem berauschenden Blickkontakt zur Autobahn eröffnen sich dann schöne Blicke für den Autofahrer, die ihn etwas von der Konzentration ablenken könnten, die eigentlich angebracht ist. Nämlich in sofern, als daß sich hier wiederholt, in unregelmäßigen Abständen die Hügel links der Autobahn senken und sich die Landschaft zum Meer hin öffnet. Dann wird es für einen vorbeirauschenden Moment richtig schön.

Vorbei geht es an den Abfahrten nach Zygi, einem Dorf am Meer, dessen Gebäude anscheinend alle zu Fischrestaurants mutiert sind (Sonntags nie ohne Tischreservierung), vorbei an der Abfahrt zum Gouvernors' Beach. Ein vielversprechender Name für einen armseligen, verschmutzten Strand, der auch noch vom zweiten großen Kraftwerk beeinträchtigt wird.

Besser fährt man gleich durch bis Limassol, wo es zwar in unmittelbarer Umgebung keinen schönen Strand, aber dafür wieder eine breite Promenade gibt. Aber vorher nähert man sich erst einmal der Stadt, der zweitgrößten des Landes, mit stetem Blick links unten auf das Meer. Nach rechts sieht man nichts außer müde aufsteigendem und zunehmend bebautem Hügelgelände. Warum das hier so ausdrücklich betont wird, hat folgenden Grund: Der Gast, der in einem der vielen Hotels aller Kategorien absteigt, die sich zwischen Autobahn und Meer befinden, wird gefragt, ob er See oder Bergblick will. Meerblick haben wohl die meisten Zimmer, die zur Seeseite liegen mehr oder weniger, je nach dem, wie artistisch der einzelne veranlagt ist und sich den Hals verrenken kann. Beim Bergblick hilft auch die ganze Gymnastik nicht. Es gibt keine Berge zu sehen, sondern nur ein sanft ansteigendes braun-grau-grünliches mit Betonkästen durchsetztes Gelände, aber der Höhepunkt ist die Autobahn davor. Auf dem Balkon sitzend kann sich der Auto-Fan dem Brummen und Rauschen der verschieden Motorenmarken widmen und dem lustigen Hin- und Hersausen seiner Lieblinge zusehen.

Wer es sich einrichten kann, sollte weder hier verweilen, noch weiter in den Moloch Limassol fahren - jedenfalls für ein paar Jahrzehnte nicht, solange die Straßen in dem Zustand sind, in dem sie sind. Seit Jahren werden sie aufgerissen, zugemacht, verbreitert, verschmälert, umgeleitet und der Verkehr quält sich schlingernd, holpernd, kurvend, hupend durch und um Touristen und Bauschutt herum.

Wir können leider nicht immer vermeiden, in diese mißratene Imitation einer Großstadt zu kommen, da der größte Teil der Verwandschaft meiner Frau hier wohnt. Allerdings können wir mittels unserer Ortskenntnis die schlimmsten Straßenabschnitte umfahren, wie z.B. jenen Teil der Küstenstraße, auf dem neulich ein Mopedfahrer in eine nicht abgesicherte, nach Regenfall mit Wasser gefüllte Baugrube stürzte und ertrank. Es erregte auch in der Presse ziemlich großes Aufsehen und mir ist nicht so recht klar, warum, da wirklich abgesicherte oder überhaupt irgendwie kenntlich gemachte Baustellen, eher die Ausnahme sind. Der Orientreisende ist mit solcherlei Dingen wohlvertraut, aber da die Zyprioten hartnäckig darauf beharren, daß sie zu Europa gehören...?! Was soll's? Selbst der Name Europa ist griechischen Ursprungs. Wenn also überhaupt jemand das Recht hat, sich Europäer zu nennen, dann ist ja wohl klar wer. Und wenn auch nur der Beton an Europa erinnert!

Und trotzdem ist eine der schönsten Erinnerungen meines Lebens mit dieser trostlosen Stadt verbunden. Zum Entsetzen mancher Mitglieder der mehrhundertköpfigen Familie meiner Frau wurden wir nicht kirchlich getraut, sondern nur standesamtlich; was bei vielen Zyprioten bedeutet: also so gut wie gar nicht. Den Schwiegereltern war das nicht allzu wichtig. Sie sind Mitglieder der hiesigen kommunistischen Partei, die wohl eine der letzten starken linken Parteien der Welt sein dürfte, und damit der Kirche nicht sonderlich verbunden. Was ihnen aber wichtig war, war, daß die Trauung im Exilstadtrat von Famagusta stattfinden sollte, vollzogen vom Exilbürgermeister, der gleichzeitig der Standesbeamte ist.

Alle ehemals griechischen Gemeinden des Nordens erhalten ihre Gemeindevertretungen weiterhin aufrecht und halten zu ihrer Zusammensetzung auch regelmäßige Wahlen ab. So kam es also, daß an einem Samstag die Trauung in den ärmlichen Räumen des Eseilstadtrats von Famagusta in Limassol stattfand und am folgenden Sonntag die Feierlichkeiten im Hause der Schwiegereltern in Larnaka, mit dem Empfang von über 200 Gästen, deren jedem ein Hochzeitsgebäck überreicht wurde, nachdem sie gratuliert und -vor allem der Braut- einem Umschlag mit einer Geldnote zugesteckt hatten. Daß ich dann abends im Restaurant bei live-Bouzouki nach mehrhundertfachen Händeschütteln, stundenlang in edles Tuch gekleidet in zypriotischer Herbsteswärme stehend, nicht mehr das Tanzbein geschwungen habe, hat man mir allgemein nachgesehen. Daß mich eine lebenslange Abneigung dagegen, mich diesem sozialem Zwang lautlich begründeter rhythmischer Bewegung zu unterwerfen, ohnehin davon abgehalten hätte, den Tanzbären zu machen, habe ich somit niemandem zu erklären brauchen. Der Saal war noch in ungedämpfter Stimmung, als meine Frau und ich gegen Mitternacht nach Hause aufbrachen, nachdem wir noch einmal jedem Gast einzeln die Hand gegeben und uns für sein Erscheinen bedankt hatten. Soweit diese ethnologischen Schilderungen.

Wenden wir uns einer Parallelerscheinung in der himmlischen Sphäre zu, die, wie in jeder religiösen Gesellschaft, sehr irdische Ausprägungen haben. Es war schon die Rede gewesen von den Unruhen vor und um den Bischofspalast. Auch die hatten etwas mit Exil zu tun. Nämlich insofern, als es um die Wahl neuer Bischöfe ging, darunter denjenigen von Morphou, eine Ortschaft, die zwar im nördlichen Teil liegt, deren Bischof jedoch, wie auch die Ortsverwaltung im Süden unter den Exil von Morphou wirkt. Die ganze Geschichte, die ich nicht schon wieder als unglaublich bezeichnen möchte, um nicht letztendlich ihre Glaubhaftigkeit tatsächlich zu schwächen, begann damit, daß der bereits mehrfach erwähnte Erzbischof Zyperns, Oberhaupt einer autokephalen Kirche, sich aus unerfindlichen Gründen gegen die Wahl des jungen Priesters Meraklis wehrte. Diese Gründe wurden auch nicht preisgegeben, als die Gemeinde darauf beharrte, ein Recht zu haben, zu erfahren, warum der Erzbischof gegen ihren Favoriten war. Seine Seligkeit ließ sich dann dazu herab, zu verkünden, daß die Wahrheit so furchtbar sei, daß man sie nicht aussprechen könne.

Eine dümmere Taktik hätte er nicht wählen können, denn damit hatte er erst recht die Neugier einer weiter angewachsenen Öffentlichkeit und Fan-Gemeinde des Meraklis angestachelt. Letzterer erwies sich als Starbesetzung der Rolle des bescheidenen, gottergebenen, unschuldigen Dieners des Herrn. Schlank, mit schwarzen Locken und Bart wandelte er Jesu gleich vor den Fernsehkameras und hauchte in moderaten, manchmal kaum hörbaren Worten, seine Antworten zu den Fragen der Journalisten. Nichts hätte erfolgversprechender sein können, als dieses fromme Gebaren, das diese allein beim Gedanken an Märtyrer wie Wachs im Hochofen schmelzenden Christen gegen den so gegensätzlich harten, autoritär bös blickenden Erzbischof auf die Palme brachte. Dies war auch das erste Mal, daß Chrisostomos, als er merkte, was da auf ihn zukam spontan mit der öffentlichen Warnung reagierte, Meraklis solle hier bloß nicht den Jesus spielen. Phantastischer Gag! Erste Klappe zu! Von nun an gab es keinen Radio-, Fernsehsender oder Zeitung, der sich die Gelegenheit entgehen ließ, Auflagen-und Einschaltquoten zu steigern.

Für einige Tage, ja Wochen rutschte der Dauerbrenner "Das Zypernproblem" auf Platz zwei in der Berichterstattung. Der Gott Ähnliche geriet immer mehr unter Druck, nur noch der Klerus schien hinter ihm zu stehen, während der Jesu Gleiche von Tag zu Tag mystisch verklärter , Frauen in Tränen ausbrechen und Männer Fäuste ballen ließ. Und dann kam als himmeldröhnender Paukenschlag das Unaussprechliche, die grauenvolle Offenbarung: Er-ist-schwul! Dem orthodoxen Universum stockte der Atem. Aber nach einmal tiefem Luftholen kam dann der vielstimmige Schrei: Beweise! Des Erzbischofs grimmige Auskünfte, man habe Zeugen, die den Beschuldigten in ziviler Kleidung in der Nähe einer bestimmten öffentlichen Bedürfnisanstalt gesehen hätten waren den wahrheitsheischenden Gläubigen zu vage. Da seine Seligkeit aber ein guter Zypriot ist, also ein entsprechend sturer Mensch, braucht jede Einsicht, die ohnehin immer nur auch höchster Not geboren wird, seine Zeit. Zeit brachte Rat und folglich neue Erklärungen.

Als nächstes war er angeblich in Aktivitäten im Zusammenhang mit Kurden verstrickt, was ihm keine Antipathien einbrachte. Im Gegenteil, denn die PKK ist mit ihrer antitürkischen Propaganda in Zypern sehr aktiv und keinesfalls unwillkommen. Es verwunderte dann auch nicht weiter, als plötzlich zwei leibhaftige Zeugen auftauchten, die die neuen Vorwürfe des Bischofs bestätigten, daß der kürzlich noch schwule Meraklis eifriger Kunde in verschiedenen Puffs gewesen sei. Soviel Fitneß trauten seine Fans dem eher zerbrechlich wirkenden Priester allerdings nicht zu und die ersten Proteste formierten sich vor dem Bischofspalast. Zunächst waren es nur Grüppchen von Frauen jeden Alters, die mit einem großen Portrait-Foto ihres Lieblings vor der Brust sich dort versammelten. Die Grüppchen wuchsen zu Gruppen. Und als sich schließlich herausstellte, daß die beiden Zeugen, Männer aus dem Rotlichtmilieu waren und eines Tages spurlos verschwanden um sich wiederum einige Tage später aus dem Ausland zu melden, wohin sie sich angeblich aus Angst vor "gewissen" Auftraggebern geflüchtet hatten, wurde aus der Gruppe eine aufgebrachte Menschenmenge, die sehr unorthodox mordlüstern zum tobenden Mob wurde. Menschen versuchten, den Zaun vor dem protzigen Bischofspalast zu übersteigen, Steine flogen über den Zaun, dann gegen die mit Wasserwerfer anrückende Polizei. Letztere sperrte das Viertel mit Stacheldraht-Barrikaden ab, die die Demonstranten aber nicht aufhielten, denn der verhaßte Gottesvertreter sollte nicht ungeschoren davon kommen.

So hatten die Zyprioten nicht einmal um ihre Unabhängigkeit gekämpft, als es galt, das britische Joch des Kolonialismus abzuschütteln. Plötzlich meldeten sich die beiden Herren der Unterwelt aus dem Ausland, mit der Auskunft, sie seien untergetaucht, weil es ihnen zu gefährlich geworden war, wollten aber wieder zurück in ihre Heimat und seien überhaupt stinksauer, weil ihnen das Geld, das ihnen für ihre Aussage versprochen worden war, nicht ausgezahlt worden sei! Der ganze Spuk endete so schnell, daß es kaum mehr nachzuvollziehen ist. Wie ein Glas Wasser im Sande versickert, versickerten alle Nachrichten in Zeitungen und Fernsehen innerhalb weniger Tage. Die Volksseele hatte sich Luft gemacht, die Kirche beschlossen die Wahl zu verschieben -was immer eine gute Lösung ist- und die hat heute, ein dreiviertel Jahr später immer noch nicht stattgefunden.

Wenn man heute einen Zyprioten darauf anspricht und vielleicht sogar fragt, warum denn ein Mann mit soviel krimineller Energie, der durch Verleumdung und Bestechung den Ruf eines anderen Menschen verletzt hat (wenn das denn wirklich alles so stimmt und nicht wie bei Geheimdienstgeschichten alles ganz anders war), nicht vor Gericht gestellt wird, erntet man erst einmal einen bösen Blick ob der Dreistigkeit, die sich der Fremde erlaubt, und dann ein Lächeln und resigniertes Schulterzucken, so ist es eben in Zypern.



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