Götter auf Urlaub


Nikosia ist mit Sicherheit ein Teil Zyperns, in dem die Götter Urlaub machen, mit welchem Spruch die Fernsehwerbung die deutschen Sonnenanbeter und sonstige Urlauber zu ködern versucht. Da man aber in dieser Stadt keine Götter trifft, müssen die Nikosianer Götter wohl an anderen Orten Urlaub machen, und so trifft es sich dann gut, daß die Stadtplanung wenigstens in einem Punkte nicht versagt hat, da nämlich alle Straßen, die in die Stadt hineinführen, auch in der umgekehrten Richtung zu befahren sind, so daß man die Götter anderswo suchen kann. Da alle Wege Richtung Norden versperrt sind, sind das allerdings zunächst nur zwei. Erstens die Autobahn Richtung Larnaka, Limassol mit der Landstraßenfortsetzung nach Paphos, zweitens die Landstraße, die nach Westen hinaus zum Troodos-Gebirge führt und von der einige Abzweigungen, wenn auch über schlechte schmale Straßen, kleine Ausflüge Richtung Süden in die Hügel anbieten, die langsam, an Höhe zunehmend, grüner werden, um dann in das Troodos-Gebirge überzugehen.

Die am stärksten befahrene Straße Zyperns außerhalb einer Ortschaft ist sicher die zuerst genannte Autobahn. Da Zypern, abgesehen von wenigen, selten verkehrenden Bussen, keine öffentlichen Verkehrsmittel kennt, sind Personenwagen das gängige Verkehrsmittel. Da sowohl die Kinder für den Weg zur Schule als auch Mütter zum Einkaufen und zuletzt auch die Väter für den Weg zur Arbeit auf ein Auto angewiesen sind, gibt es in fast jeder Familie davon mindestens zwei. Und obwohl der Preis aufgrund der hohen Einfuhrsteuer über dem Preis in europäischen Ländern liegt, legt man Wert auf eine vorzeigbare Karosse. Schließlich gibt es hier keine Schufa, und man kann bei jeder Bank einen neuen Kredit aufnehmen; eine Möglichkeit, derer man sich selbstverständlich bedient.
So kommt es, daß jeder, wer spät abends bei guter Sicht mit dem Flugzeug von Westen kommend über Larnaka einschwebt, einen endlosen Wurm mit tausenden glühender Augen dahinkriechen sieht, besonders sonntags, wenn Zypern vom Verwandtenbesuch und Suvlaki wieder nach Hause fährt.
Machen wir uns lieber morgens auf den Weg Richtung Larnaka, wenn der Verkehr noch eher dünn ist. Allerdings hat das keinen Einfluß darauf, daß wir auch jetzt schon mal links, mal rechts überholt werden, daß Wagen mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern und 150 km/h bei erlaubten 100 km/h bis auf einen Meter Abstand auffahren, daß Autos ohne zu blinken ausscheren und sobald sie vorn in der Ferne ein Fahrzeug sehen, das einem Polizeifahrzeug ähnelt, voll in die Bremse treten. Aber an all das haben wir uns in Nikosia schon lange gewöhnt, und das Adrenalin können wir später in Aya Napa am Strand liegend abbauen, sofern das Getöse der Motorbootflitzer mal eine Zeitlang nachläßt. Außerdem sind wir inzwischen so abgehärtet, daß wir kaum noch an den alten Mann denken, der vor zwei Tagen auf einem Motorrad von einem Wagen angefahren wurde und reglos auf der Straße liegen blieb. Hier auf der Autobahn sehen wir jetzt auf der linken Fahrbahn lange tiefe Kratzer im Asphalt und dazu bunte Farbstreifen, die schräg auf die Böschung zuführen. War nichts Außergewöhnliches. Bei überhöhter Geschwindigkeit hat sich hier vor einer Woche ein Wagen überschlagen, und weil die beiden jungen Leute nicht angeschnallt waren, wurden sie etwas weiter weg gefunden. Wahrscheinlich haben sie nicht lange, wenn überhaupt, gelitten. Die meisten Unfalltoten werden hier nicht in unmittelbarer Nähe ihres Wracks gefunden.
Was, der Zynismus des Schreibers ist unangebracht? Wie anders sollte man das hier denn sonst ertragen, kühl und sachlich etwa? Na, also! Die Straße ist nicht schlecht, die Fahrbahn breit genug, der Asphalt eben. Immerhin muß er in Sommer-Temperaturen über 40º C im nict vorhandenen Schatten aushalten und dazu eine Menge Verkehr. So geht die Fahrt schnell. Nach nur fünfzehn Minuten ist man an der Gabelung: Larnaka - links, Limassol - rechts. Den größten Teil des Jahres geht es durch flaches, ausgebranntes, braunes Gelände. Kurz vor der Abzweigung beginnen zu beiden Seiten Hügel, deren merkwürdige Form - ein langer, sattelförmiger Kamm - schon vor Jahrhunderten die Aufmerksamkeit der Reisenden auf sich zog. Auf manchen dieser Hügel sind jetzt türkische Wachposten, auf dem höchsten, nur ein paar hundert Meter von der Straße, steht eine weiße orthodoxe Kapelle, an Stelle des Kreuzes die rote türkische Flagge. Direkt unterhalb, am Fuße des Hügels, wacht ein UN-Posten in einer Hütte im typischen Blau, noch weiter davor wehen die griechische und die zypriotische Flagge.
Kurz vor Larnaka, bevor die Autobahn aufhört, gibt es eine weitere Abbiegung nach Osten. Hier führt die Autobahn noch einige Kilometer weiter, nördlich Larnaka umgehend, in Richtung Aya Napa, Paralimni und Protaras und theoretisch auch Famagusta, auf das Schilder mit Entfernungsangabe auch hinweisen, nur kommt da später dann der Stacheldraht, wie gesagt, erst später.
Zunächst bleibt uns erst einmal die Luft weg, denn beißender Gestank schlägt mit dem Fahrtwind in den Wagen. Inzwischen sind wir darauf vorbereitet und verarbeiten diesen Streß mit den immer gleichen Scherzen, daß ich meine Frau bitte, doch wieder die Schuhe anzuziehen, und sie mich fragt, wann ich mich das letzte Mal gewaschen hätte. Die Ursache ist aber - ehrlich - ganz anderer Art. In dieser Gegend befinden sich die meisten Viehfarmen, wobei man das Wort "Farm" mit leicht gekräuselten Lippen ausspricht. Auf einem recht eng begrenzten Areal, völlig kahl, verbrannt, steinhart, stehen einige hundert schwarz-weiße Kühe, denen ein provisorisch wirkendes Dach viel zu wenig Schutz vor der Sonne bietet. Wer weiß, wieviele Kühe hier nach einem Hitzeschlag notgeschlachtet werden. Der bestialische Gestank, der kilometerweit vom leichten Wind getragen noch die am Meer gelegenen Vororte Larnakas einhüllt, läßt außerdem auf eher dürftige Hygiene schließen. Diese scheint allerdings im dem Auge des Vorbeifahrenden verborgenen Inneren der Schweineställe zu herrschen. Daß ich mich bei den Besuchen bei den Schwiegereltern während des Suvlaki-Essens sehr zurückhaltend zeige, wird dennoch mit größter Verwunderung aufgenommen. Etwa nach zwei Kilometern kurbelt man dann die Scheiben atemringend wieder runter. An der dritten Abfahrt verlassen wir die Autobahn und schlagen die Landstraße zum Dorf Pyla ein, das etwa zwei Kilometer landeinwärts zwischen kahlen Hügeln liegt. Der sachkundige Leser wird jetzt denken: "Ach so, Pyla, na ja, kenn' wa ja!" Aber Geduld, es wird einiges Neues geboten. Pyla hat früher, wie die Einwohner selbst sagen, weiter im Süden am Meer gelegen. Zwar weiß niemand, was "früher" bedeutet, aber die Begründung, daß man es aufgrund der steten Überfälle und Plünderungen vom Meer aus verlegt habe, läßt vermuten, daß das jedenfalls vor mehr als hundert Jahren gewesen sein muß.
Nun, was der sachkundige Leser oder landeskundlich interessierte Tourist weiß, ist, daß Pyla das letzte Dorf in Zypern ist, das noch eine griechische und türkische Dorfgemeinschaft hat. Aber Vorsicht! So läßt sich das aus zweierlei Gründen nicht sagen. Der erste ist, daß es noch ein anderes Dorf gibt, in dem es auch heute noch eine, und zwar wieder wachsende, türkische Gemeinschaft gibt, nämlich das Dorf Potamya, türkisch: Dereli Köy, also etwa: Bachdorf. Es liegt etwa zwanzig Kilometer südöstlich von Nikosia, direkt an der Grenze, über die spät abends im Dunkeln häufig Verwandtenbesuch zu den türkischen Familien kommt, wie uns aus "informierten Kreisen" versichert wurde. Einer meiner türkischen Studenten kommt von dort und ebenso unsere griechische Sekretärin. Allerdings ist der Anteil der Türkischen an der Gesamtbevölkerung recht gering, nämlich etwa 30 von rund 200 Einwohnern. Deshalb gibt es auch keine funktionierende Moschee oder Schule für die türkischen Kinder mehr.
Mit der Schule ist das solch eine Sache. Die Kinder türkischer Eltern, die noch verstreut über den griechischen Teil Zyperns leben, meist in den größeren Städten, vor allem Limassol und Nikosia, besuchen griechische Schulen. Sie haben keine staatlich geförderte Sprachpflege und müssen sogar am orthodoxen Religionsunterricht teilnehmen. Als ich einer Grundschullehrerin, die mir das erzählte, mein ungläubiges Erstaunen darüber zum Ausdruck brachte, erstaunte sie ebenso ungläubig darüber, daß ich das überhaupt in Frage stellen konnte. Schließlich seien die Türken eine Minderheit in einem griechisch-orthodoxen Land, da könne es gar keine Diskussion über den Religionsunterricht geben. Immer wieder wird man darauf gestoßen, wie hochtourig die Hellenisierungskampagne läuft.


Das zahlenmäßige Verhältnis von Griechen und Türken in Pyla erlaubt durchaus noch die Bezeichnung "gemischt bewohnt", weil es sich nun etwa 450 Griechen und etwa 350 Türken handelt. Von einer Dorfgemeinschaft zu sprechen, erlaubt aber die unsichtbare Mauer nicht, die beide Gruppen trennt. Besonders nach den letzten Vorfällen, bei denen im Spätsommer des Jahres an der Grenze bei Dhereniya, durch das wir später Richtung Famagusta fahren werden, drei Griechen umgebracht wurden, hat es sogar Übergriffe auf die türkischen Nachbarn gegeben. Das Dorf ist nicht geographisch geteilt, also hier eine griechisch, dort eine türkisch besiedelte Hälfte, sondern beide Ethnien wohnen bunt gemischt. Die Häuser der Griechen sind daran zu erkennen, daß sie vom höheren Lebensstandard ihrer Bewohner zeugen, welcher von ihren Einnahmen aus dem wirtschaftlich wesentlich besser gestellten Süden stammt. Zwar haben auch die hier lebenden Türken die Möglichkeit, im griechischen Süden zu arbeiten, aber man läßt sie nicht gerade in die bestbezahlten Positionen, und diejenigen, die im Norden Arbeit haben, verdienen ohnehin gerade nur das Notwendigste zum Leben.
Die Erklärung für diese ungeordneten Verhältnisse ist die Tatsache, daß das Dorf in der von der UN kontrollierten Pufferzone liegt, damit also weder der griechisch- noch der türkisch-zypriotischen Regierung und damit Gesetzgebung untersteht. Aus Richtung Larnaka kommend fährt man von Süden auf das vor einer Hügelkette liegende Dorf zu. Manchmal steht rechts am Straßenrand ein Polizeiwagen, meist nur mit einem Beamten besetzt, der von Fall zu Fall die Wagen Fremder, die aus dem Dorf kommen, durchsucht. Manchmal wird Schmuggelware aus dem Norden gefunden, meist nur ein paar Kilo Fisch oder ähnliches, was drüben sehr viel billiger ist, seltener aber auch holt der Uniformierte Goldschmuck aus irgendeiner Ecke des Wagens, der in einem der erstaunlich vielen Juwelierläden in dem kleinen Örtchen gefunden wurde. Da das Gebiet aber nicht der griechisch-zypriotischen Gesetzgebung untersteht, gilt das als zu beschlagnahmende Schmuggelware.
Während man sich dem Dorfe nähert, nimmt eine Gestalt immer klarere Konturen an, die im Hintergrund des Ortes auf einem Hügel errichtet wurde und - je nach Standpunkt - ihn bedrohlich oder aufmerksam bewacht. Zweifellos handelt es sich um die recht provisorisch errichtete Gestalt Atatürks. So sehr es beiden Seiten an Phantasie in Bezug auf eine Wiedervereinigung mangelt, so viel Phantasie bringen sie auf, wenn es um Provokation geht.
Wie sehr aber auch hier - auf neutralem Boden - die Überlegenheit des hellenischen Bewußtseins dominiert, möge folgende kleine Begebenheit veranschaulichen: Während eines unserer Aufenthalte in Pyla saßen wir in dem kleinen griechischen Restaurant am Platz in der Mitte des Ortes, gegenüber der türkischen Teestube, und aßen bei der gleichen griechischen Musik eine der Mahlzeiten, die man in allen griechischen Restaurants bekommt. (Komisch, nach drei Jahren habe ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, in einem griechischen Restaurant zu leben, die gleiche Musik, immer und ewig, schallt aus den Autos, Geschäften, Wohnungen.) Zwei Touristen treten ein, ein ältliches Ehepaar, etwas zögerlich, vielleicht wegen der etwas sehr rustikalen Einrichtung samt rustikalem, bartstoppeligem Gastwirt. Entsprechend zögerlich fällt die Frage im mitteleuropäischen Englisch, ob sie Tee bekommen können. Darauf hin erhalten sie die lautstarke Antwort, sie sollten rüber auf die andere Seite gehen, da bekämen sie Tee, denn "only sick people drink tea". Verschüchtert zogen unsere kleinen Touristen von dannen, nachsinnend, was es wohl mit der zypriotischen Gastfreundschaft auf sich habe. Ich habe nicht gesehen, ob sie tatsächlich über den Platz zur türkischen Teestube gegangen sind, und wenn, dann haben sie wohl kaum den Fuß über die Schwelle gesetzt, denn dort gehtís noch ein Stückchen rustikaler zu, allerdings nicht im Ton, welcher auffallend zurückhaltend ist.
Der hohe Raum ist hell getüncht, was ihn auch trotz des einzigen kleinen Fensters nicht dunkel scheinen läßt. Ein paar kleine viereckige Tische mit unbequemen Holzstühlen bilden das einzige Inventar, abgesehen natürlich von der Theke und dem kleinen Kocher für Tee und Kaffee und - aber selbstverständlich - von dem Fernsehgerät, das, wie zu Hause, immer läuft, egal ob jemand hinsieht oder nicht. Die zwei Männer, die an einem Tisch Backgammon spielen, scheinen den Apparat gar nicht wahrzunehmen. Draußen auf der Terrasse zum Dorfplatz hin ist es wegen fehlenden Fernsehers ruhiger, obwohl hier mehr Männer sitzen, von denen nur wenige ab und zu etwas sagen. Einer liest Zeitung, einer träumt vor sich hin, während er die Perlenkette durch die Finger der baumelnden Hand gleiten läßt, ein dritter nippt sinnend am Teeglas.
Nur etwa zehn Meter sind es von hier quer über den Platz zum griechischen Kafeneion, wo sich ein ähnliches Bild bietet. Das Gebäude allerdings ist neuer, die Gäste zahlreicher und vor allem wesentlich geräuschvoller. Geht man von einem Haus zum anderen und trinkt hier mal einen Kaffee und dort mal einen Tee, wird man sich der Unterschiedlichkeit der Mentalität deutlich bewußt. Und es erinnert an die Eindrücke, die man hat, wenn man von einem Teil der Stadt in den anderen wechselt. Und dann denkt man sich: Aha, so sind also die Griechen, und: Aha, so sind also die Türken. Aber wie um alles in der Welt ist denn der Zypriote? Und damit wären wir bei einem der großen Rätsel dieses Planeten, der zypriotischen Identität.
Man könnte es sich einfach machen und sagen: So etwas gibt es gar nicht!, und wäre damit nicht einmal soweit von der Wahrheit entfernt. Aber ganz so einfach ist es halt nicht. Also lohnt sich ein Blick auf die Details.
Zunächst einmal sagen die meisten Zyprioten, wenn man sie fragt, als was sie sich an erster Stelle fühlen auf dem weiten Spektrum der zypriotischen Identifizierungsmöglichkeiten, daß sie sich als Zyprioten fühlen, dann folgt - leicht nachzuvollziehen - die ethnische Spezifizierung, als griechischer bzw. türkischer Zypriote, wobei die Umkehrung von Adjektiv und Substantiv, also z.B. zypriotischer Grieche, auch noch eine bezeichnende Variante liefert. Erst aufmerksame Beobachtung und Erfahrung zeigen, daß bei denjenigen, die sich nach eigener Aussage in erster Linie als Zypriote sehen, unterschieden werden muß zwischen denjenigen, die zutiefst von einer speziell zypriotischen Identität überzeugt sind, und auf der anderen Seite denjenigen, die - in mehrfachen Abstufungen - aus unterschiedlichen Gründen eine solche Identität bejahen, wünschen oder an sie glauben.

Greifen wir uns exemplarisch ein paar Beispiele aus dem Identitätsspektrum heraus und sehen uns die Ergebnisse an:

Nehmen wir zunächst einen in Zypern geborenen Menschen, einen griechischen Jungen, der in einem christlich-orthodoxen Elternhaus aufgewachsen ist und dem jede Diskussion um die Überlegenheit und die einzige Wahrheit seiner Religion als ein Angriff auf das Universum scheint. In dieser Gruppe finden wir die weitaus meisten griechischen Zyprioten, mehr noch die weibliche Bevölkerung und hier auch die jungen Frauen und Mädchen. Wer letzteres in Zweifel ziehen will, soll sich einige Stunden in der Kirche auf dem Campus der Universität Zyperns aufhalten und die Ikonen küssenden Studentinnen beobachten. Unter diesem Bevölkerungsteil finden sich die meisten Befürworter für einen Anschluß an Griechenland, das demzufolge auch als Mutterland bezeichnet wird, eine Bezeichnung, der wir jenseits der Grenze auch für die Türkei begegnen. Gleichzeitig schwankt bei ihnen von Person zu Person oder sogar je nach Tagesaktualitäten die Ambivalenz in ihrer Haltung zu einer zypriotischen Identität. Für die einen ist Zypern uneingeschränkt griechisch, d.h. hellenisch, byzantinisch, und für manche von ihnen ist klar, daß Konstantinopel einst wieder ihre Hauptstadt sein wird. Andere, vielleicht intelligentere, vielleicht aufmerksamere, jedenfalls nicht so verbohrte, sind sich bestimmter zypriotischer Eigenheiten bewußt, die sie den Festland- und Inselgriechen gegenüber auszeichnet, wie zum Beispiel ihr eigener Dialekt oder manche Schleckereien auf der Speisekarte.

Zumindest das ambivalente Verhältnis zur Identität wird bei den verschiedensten Anlässen durch die Allgegenwart der griechischen Flagge deutlich, die ja auch als Symbol für die griechische Orthodoxie zählt. Wie sehr sich an ihr die Geister scheiden und damit auch wie groß die Bedeutung ihrer Symbolkraft ist, zeigt ein Beispiel aus dem Spätherbst 1996, als die Frage, ob die griechische Flagge über den Gebäude der "Universität Zypern" wehen solle oder dürfe, die Gemüter stark erregte. Die salomonische Entscheidung, die vom Rektor gefällt wurde, bestimmte, daß die Flagge nur bei besonderen Anlässen wehen sollte, wobei jedoch zu entscheiden sein wird, welcher Anlaß denn wohl so besonders ist, daß die Universität zeigt, daß es sich hier nicht um eine zypriotische, sondern um eine griechische Universität handelt. Das scheint alles ein wenig verwirrend? Aber nicht doch! Das ist doch erst der Anfang und darüber hinaus der ganz normale Alltag. Noch ein bißchen mehr Stimmung bringt vielleicht die Erwähnung des Umstandes, daß es sich bei unserer "Universität" offiziell um eine "bikommunale" Universität handelt, also auch mit den offiziellen Sprachen Griechisch und Türkisch, wobei letzteres allerdings nur von den Angehörigen des "Department of Turkish Studies" und einigen wenigen türkisch-zypriotischen Studenten beherrscht wird. Das aber ist der Ministerin für Erziehung schon lange ein Dorn im Auge, da eben nach ihrer Meinung für Griechen nur eine Erziehung im hellenistischen Geiste in Frage kommt - was immer das sein mag.

Die Politiker, die gegenwärtig des Landes Geschichte bestimmen, sind im hellenistisch-orthodoxen Lager angesiedelt, deren diffuse Äußerungen zur Selbständigkeit Zyperns und deren stets nach Griechenland orientierte Handlungen, sind Weltmeister im Reden mit doppelter Zunge. Daß sie Enosis im Geiste realisiert haben, merkt in Europa anscheinend niemand.

Wesentlich vielschichtiger, komplizierter und komplexer ist das Identifikationsspektrum im eher Mitte bis links angesiedelten Lager. Eindeutig ist hier die Bejahung einer zypriotischen Identität, die den Einfluß des "Mutterlandes" so weit wie möglich einschränken will, so daß sich die eigene Identität auch in einer eigenen Politik manifestieren kann.

Das größte Problem auf dieser Seite ist die Frage: "Was verbindet uns eigentlich mit unseren türkischen Landsleuten in solch einem Maße, daß wir beide die gleiche Identität empfinden können?" Die einzig mögliche Antwort darauf ist, daß beide auf derselben Insel geboren sind. Und darin erschöpft es sich auch schon. Selbst wenn bei fortschrittlich gesinnten Griechisch-Zyprioten kaum oder keine Bindung zur orthodoxen Kirche vorhanden ist, bleibt immer noch die türkische Sprache als eine unüberwindliche Barriere. Während die älteren Türken, die vor der Teilung der Insel ihre Kindheit erlebt haben, zum Teil noch sehr gut Griechisch sprechen - zumal in nicht wenigen türkischen Familien Griechisch gesprochen wurde -, haben Griechen nie Türkisch gelernt. Wenn man nach dem Grund fragt, bekommt man die Antwort, daß schließlich die Minderheit die Sprache der Mehrheit zu lernen habe und nicht umgekehrt. Nichtsdestoweniger werden in den größten Städten heutzutage von offiziellen Stellen Türkisch-Kurse angeboten, über deren Qualität ich allerdings nichts berichten kann. Lediglich von zwei entsetzten jungen Frauen wurde erzählt, daß sie in Limassol einen Kurs begonnen und gleich wieder abgebrochen hatten, nachdem einer der ersten Sätze, der ihnen beigebracht worden war, wie folgt war: -Bütün Türkler hayvan!, -Alle Türken sind Tiere!

Das Problem, sich mit Zypern zu identifizieren, ist erstaunlicherweise für die türkischen Zyprioten nicht so groß. Zunächst steht ihnen keine Religion im Weg, da die hiesigen Türken es mit dem Islam nicht so genau nehmen, wenn sie nicht überhaupt Atheisten sind. Aber Religion ist in der ganzen türkischen Geschichte kein sehr dogmatisch behandeltes Thema. Vom Zentralasien bis zum Balkan sind unter Türken fromme Muslime eher die Ausnahme gewesen. Vor dem Islam hatte für fast fünfhundert Jahre der Buddhismus die stärkste Stellung unter den türkischen Völkern, während es gleichzeitig aber auch immer Christen, Juden und Manichäer gab.

Die religiöse Bindung an ein "Mutterland" fällt also weg. Was bleibt, ist, eigentlich nur die Sprache, deren Dialekte große Ähnlichkeiten mit manchen zentral- und südanatolischen Dialekten aufweisen. Ich habe keine einleuchtende Erklärung dafür, warum sie sich dennoch noch nachdrücklich von den anatolischen Zuwanderern abgrenzen und sich selbst als Zyprioten und die aus der Türkei zugewanderten Neusiedler als Türken bezeichnen. Vielleicht hat gerade das Zusammenleben mit den Griechen die Entwicklung eines besonderen Bewußtseins hervorgebracht.

In der schwierigsten Situation befinden sich die wenigen Türken, die im griechischen Süden geblieben sind. Ihnen wird selbst das Wahlrecht verweigert und somit quasi ihre Existenz abgesprochen.

Verlassen wir dieses schwierige Terrain, trinken zum Abschied auf der Terasse der "Teestube" ein Efes, türkisches Bier, das es sonst im griechischen Teil Zyperns nirgendwo gibt, und verlassen Pyla mit seinen Problemen, um uns zu dem nächsten problematischen Ort zu begeben - und der liegt auf dieser Insel natürlich nicht fern. Wir werden unseren Weg fortsetzen nach Famagusta - oder wenigstens bis kurz davor - an der Ostküste der Insel und dann mehr oder weniger entlang der Küste über Protaras und Aya Napa nach Larnaka fahren. Wenn wir dann abends nach Nikosia zurückkommen, haben wir eine erfahrungsreiche Tagestour gemacht.

Wir fahren von Pyla einen Kilometer zurück zur Autobahn, die selbst nach etwa zwei weiteren Kilometern mit einer schwungvollen Rechtskurve in die Küstenstraße Larnaka-Dherimia-Aya Napa einmündet, wo wir nach links, also nach Osten, abbiegen und - auf der rechten Seite das Meer - eine das Auge erfreuende Fahrt genießen könnten. Der Konjunktiv wird hier durch den rasch aber eng fließenden Verkehr verursacht. Zwar ist die Landschaft hier zur linken Seite flach und landwirtschaftlich genützt, aber wenn man auf einer Straße fährt, die direkt am Meer entlang führt, wird das Auge immer vom Wasser angezogen. Die Strecke ist eine der am stärksten befahrenen Straßen Zyperns und zu den vielen Lastwagen, die die landwirtschaftlichen Produkte transportieren, und denen, die die zahlreichen Hotels weiter im Osten mit Lebensmitteln versorgen, gesellen sich die Busse, die dieselben Hotels mit den Vertilgern dieser Lebnsmittel versorgen, und auffallend viele Personenwagen mit roten Kennzeichen, also Mietwagen mit Touristen. Da letztere meist aus Ländern kommen, in den rechts gefahren wird, entspricht der Verkehrsfluß nicht immer dem von Zyprioten gewünschten Tempo, so daß es zu den gewagtesten Überholmanövern kommt, auf Grund derer an dieser Straße so mancher Tourist seinen letzten Einkaufsbummel gemacht hat.
Der Blick aufs Meer wird an diesem Abschnitt erheblich entzaubert von dem dominierenden Kraftwerk, das gerade dort die Küste überragt, wo sie in eine Steilküste übergeht und die Straße sich mit einer scharfen Linkskurve dort hinaufschwingt. Nach wenigen Kilometern kann man sich entscheiden, ob man durch die "British Base" Richtung Aya Napa fahren will oder halb um den Kreisverkehr geradeaus die engere Landstraße nach Dheriniya nimmt, die - laut Wegweiser - auch nach Famagusta führt.

Die schmale Straße verläuft streckenweise gerade durch teils recht flache Landschaft, in der Feldbau betrieben wird, teils durch leicht hügeliges Land, das in der Regenzeit mit einem leichten Grünschleier überzogen ist. Es geht für etwa fünfzehn Kilometer immer entlang der Grenze zum türkischen Teil, was niemandem auffallen würde, da der niedrige Zaun ein ganz gewöhnlicher, teils unterbrochener Weidezaun ist, der in ungleichmäßigen Abstand, teils nur zehn, manchmal vielleicht fünfzig Meter links von der Straße verläut. Es würde niemandem auffallen, wenn nicht ab und zu einige Dutzend Meter dahinter auf einem der Hügel, zu denen das Gelände vom Zaun aus aufsteigend, ein Wachturm wäre, von denen ab und zu die türkische oder türkisch-zypriotische Flagge weht. Soldaten sieht man kaum jemals. Und doch ist eben hier geschehen, was im Spätsommer 96 die Situation wieder stark anspannte, als zwei griechische Zyprioten von türkischen Killern ermordert wurden.
Allerdings war es keineswegs so, wie es in deutscher Berichterstattung beschrieben wurde, wie zum Beispiel in der Beilage einer berühmten deutschen Wochenzeitung, wo es heißt: "Während einer Demonstration gegen die Teilung Zyperns wurde dieser Grieche kaltblütig von Türken erschossen."

Oh nein! Das Drama hatte sich lange vorher angekündigt, und demjenigen, der die Vorbereitungen verfolgte, war sehr klar, daß ähnliches passieren würde, und die Regierung, die es hätte verhindern können, hat dies unterlassen, und - nicht ungelegen - hatte das griechischen Zypern im Handumdrehen zwei neue Märtyrer. Was war geschehen?

Schon lange vor diesen Geschehnissen hatte der Motorradfahrerverein Zyperns - den man ohne schlechtes Gewissen auch Motorradrockerverein nennen kann - zu einer Protestfahrt unter internationaler Beteiligung nach Kyrenia, Girne auf der türkischen Seite, aufgerufen. Es war natürlich keine Sekunde daran zu denken, daß die nordzypriotische Regierung einer solchen Grenzverletzung untätig zusehen würde.
Nichtsdestoweniger oder gerade deswegen erfreute sich das geplante Unternehmen großer Zustimmung unter der griechischen Bevölkerung und damit war schon zum Teil das Ziel der Motorradfahrer erreicht, nämlich sich im lärm- und abgasgeplagten Volk Sympathien zu sichern, derer sie sich ansonsten nicht erfreuen können. Ja, es kam sogar zu einem Treffen zwischen Motorradlern und Regierungsmitgliedern, wobei ersteren von ihrem Vorhaben halbherzig abgeraten wurde, nicht ohne den Hinweis an die Öffentlichkeit zu vergessen, daß man natürlich nicht die gesamte Grenze abriegeln könne, um die Patrioten an ihrem unvernünftigen Vorhaben zu hindern. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf.

Bei Dheriniya durchbrachten die Patrioten nach kurzem, oberflächlichen Geplänkel mit griechisch-zypriotischer Polizei die Grenze und waren gleich darauf mit türkischem Militär, aber, wie die Aufnahmen zeigen, mit auffallend vielen Zivilisten konfrontiert, die, anscheinend sehr gut vorbereitet, mit Holzknüppeln auf die vordersten Demonstranten einschlugen. An der dann erfolgten Tötung gibt es nichts zu beschönigen. Wenn es wirklich nicht beabsichtigt gewesen sein sollte, diesen Griechen zu töten, dann war sein Tod von türkischer Seite auf jeden Fall in Kauf genommen. Auch der nächste Tote ein paar Tage darauf war das Opfer einer beabsichtigten Tötung. Zwar wird wohl von keinem Land geduldet, daß jemand die Flagge, also das Symbol staatlicher autonomer Existenz vom Mast holt, aber der gezielte Todesschuß war mehr als die Verhinderung des Herabholens einer Flagge; es war ein Warnschuß gegen alle, die die Grenze des türkischen Nordzypern nicht respektieren wollen. Und der Tod des nächsten Griechen, wieder ein paar Tage danach, ist gänzlich mysteriös. Nach Auskunft von Dorfbewohnern wird der Bauer beim Schneckensammeln von türkischen Grenzbewachern erschossen. Diese sagen, er habe die Grenze mißachtet und sei auf Anruf nicht stehen geblieben. Noch rätselhafter sind der Tod von einem und die schwere Verletzung eines anderen türkischen Grenzsoldaten an dieser Stelle. Nach türkischer Version war es eine feige Nacht- und Nebelaktion griechischer Rächer, nach griechischer Version war es die türkische Geheimpolizei/Militär/Graue Wölfe, um die antigriechische Stimmung in der türkischen Bevölkerung noch anzuheizen. Nettes Klima hier, was?

Nichts wie fort von diesem fürchterlichen Ort! Versuchen wir es mal weiter im Osten, weiter auf derselben Straße. Nach etwa zwei Kilometern verläßt sie das Bachbett und man ist wieder in einer flachen unansehnlichen Landschaft. Statt geradeaus Richtung Famagusta zu fahren, denn die Straße endet abrupt an einem Roundabout vor einer Stacheldrahtsperre etwa fünf Kilometer vor Famagusta, biegen wir rechts nach Dheriniya ab. Es geht durch das unansehnliche Dorf Phrenaros, wobei -unansehnlich" ein sehr wohlmeinendes Adjektiv ist. Der bauliche Zustand der meisten Ortschaften Zyperns ist so katastrophal häßlich, daß es sogar schon Zyprioten gibt, die in diesem sonst so patriotischem Land selbst sagen, daß die all-überall gegenwärtigen Betonkisten in allen Formen und Größen das Land zerstört haben. Wir kommen später darauf zurück.

Zuerst wollen wir ein altes Berlin-Erlebnis wiederholen. Richtig geraten! Es gilt irgendwo hinaufzusteigen und hinüber in den anderen Teil zu sehen. Selbstverständlich ist das in Zypern kommerzialisiert worden, und in Dheriniya findet sich der Besucher in Grenznähe an verschiedenen Stellen mit großen Reklameschildern konfrontiert, deren Anschrift etwa so lautet: -Von hier bester Blick auf die Geisterstadt! Famagusta! Es sind Privatleute, die hier von einem Fenster aus einem höhergelegenen Stockwerk gegen Entgelt einen Blick auf die Geisterstadt" anbieten, Gebäck und Snack im Preis nicht inbegriffen, aber auch erhältlich.

Und dort stehen dann die Touristen und sehen in dunstiger Ferne auf ein helles Häusermeer, Varosia, moderner Teil Famagustas, einst Zentrum des Fremdenverkehrs auf Zypern und seit 1974 leerstehend, langsam dem Verfall preisgegeben. Dort in den von hier verborgenen Straßen ist meine Frau aufgewachsen, bis sie während der Invasion flohen. Und wir stehen da, sie gegen mich gelehnt, sieht abwesend in die Ferne, drückt meine Hand und sagt mit leiser Stimme: -Da hinten in der Stadt ist irgendwo unser Haus. " Und ich errate die Bilder, die sie gerade wirklich sieht. Wie Vater und Großvater im Ruderboot zusammen zum Fischen hinausfahren, das kleine Mädchen winkend am Strand, eine Hand zum Schutz gegen die Sonne über den Augen, der kleine schwarze Hund läuft noch ein paar Meer ins Wasser. Zwei kleine Mädchen, die Schwestern Katerina und Kyriaki, spielen im Kinderzimmer. Kyriaki dreht Pirouetten in der Tanzschule, denn sie möchte Primaballerina werden. Die Großmutter liegt von der Kugel des türkischen Soldaten tödlich getroffen auf dem Boden des Zimmers, während der Großvater vom Krankenlager hilflos zuschaut ...

Richtung Süden geht die Fahrt weiter in die Urlaubsparadise Paralimni, Protaras, Aya Napa. Hier läßt sich nun wenig über die Landschaft sagen. Manchmal sieht man aus der Ferne das Meer, aber sonst wird - in welche Richtung man den Blick auch wendet - die Sicht von vielen, vielen kleinen gleichförmigen bzw. unförmigen Häuschen beherrscht, mal mehr, mal weniger zu kleinen Siedlungen zusammengefaßt. Dies sind Ferienbungalows und die stehen von Dheriniya für etwa zwanzig Kilometer entlang der Küste und im Hinterland bis runter nach Aya Napa eigentlich überall da, wo keine Hotels, Supermärkte oder Fast-Food-Restaurants stehen. Um eine Klage des zypriotischen Fremdenverkehrs wegen Geschäftsschädigung zu vermeiden, kürzen wir hier lieber ab, erwähnen nur noch das einzige alte und einzig sehenswerte Gebäude in Aya Napa, das aus dem 16. Jahrhundert stammende Kloster - alles andere entnehme man dem Reiseführer - und machen uns aus dem Staub hindurch durch Gyros-Nepper, Souvenierkitschläden, Diskotheken, Wechselstuben, Supermärkte, Pizzerien und stürzen hinaus auf die Freiheit verheißende Landstraße nach Larnaka. Ich kenne Leute, die waren schon viermal in Aya Napa. Denen gefällt es da. Es gibt ein paar kleine Strände und viel Sonne. Deutsches Bier auch. Disko auf bis morgens …

Die Straße nach Larnaka führt nicht direkt am Meer entlang, sondern in ein bis zwei Kilometer Abstand davon; auf der linken, dem Meer zugewandten Seite, liegen in kurzen Abständen Hotels, meist der gehobenen Mittelklasse. Bis vor kurzem für Europäer recht erschwinglich, boten sie einen Standard, dessen Qualität für dieses Geld im europäischen Einzugsbereich nicht so leicht seinesgleichen finden konnte. Zwar ist die Qualität geblieben, aber in den letzten Jahren sind die Preise so gestiegen, daß sich das Preis-Leistungs-Verhältnis deutlich zum Nachteil verändert hat.

Nach wenigen Kilometern ist schon wieder die englische Militärbasis erreicht, durch die uns diesmal unser Weg führt. Am Eingang verkündet ein großes Schild in englischer Sprache, auf wessen Hoheitsgebiet man sich hier begibt. Das ganze Gebiet ist von einem etwa drei Meter hohen soliden Zaun umgeben. Dieses Recht, im Süden Zyperns zwei Militärbasen mit britischer Rechtsprechung zu unterhalten, war ein Punkt des Züricher Abkommens vom Februar 1959, das von den drei "Schutzmächte" genannten Staaten unterzeichnet worden war. Man fühlt sich hier plötzlich tausende von Kilometern weit weg, vor allem, wenn man noch Pyla auf dem Tagesprogramm hatte.

Die Straßen tragen englische Namen - obwohl nicht unbedingt die angenehmsten, meist diejenigen berühmter britischer Militärs. Aber auch englische Stadtnamen findet man auf den Straßenschildern. Die Wohnhäuser könnten in englischen Vororten stehen, die Menschen sind hellhäutig, blond und sommersprossig, auch wenn das nur ein Vorurteil ist, jedenfalls scheint es so. Es gibt englische Läden, fish'n chips und Polizeiuniformen, in denen allerdings meist türkische Zyprioten stecken, die täglich aus dem Norden kommen können, um hier ihrer Arbeit nachzugehen. Aber auch unter griechischen Zyprioten sind die Briten gern wahrgenommene Arbeitgeber, wenn auch, wie schon an anderer Stelle geschildert, aus patriotischen Gründen ihr Verbleiben auf der Insel in Teilen der Bevölkerung, teils krass, abgelehnt wird. Die dreisprachigen Hinweisschilder an den Straßenrändern - englisch, griechisch, türkisch - zeigen, daß sich, offenbar nach britischer Ansicht, seit der Kolonialzeit in Zypern nicht viel getan hat.

Man ist schnell hindurch, und der bedeutendste der bleibenden Eindrücke ist vielleicht der hohe, stabile Zaun links und rechts entlang der Straße, der wohl die Soldaten und ihre Familien vor möglichen potentiellen Befreiungskämpfern schützen soll.

Nachdem man das etwas früher am Tage in anderer Richtung umfahrene Roundabout nun wieder umfahren hat, geht es zurück, diesmal das Meer auf der linken Seite, und nach etwa zwanzig Minuten erreicht man die ersten touristischen Ausläufer Larnakas. Linkerhand drei eng nebeneinander stehende rechteckig hinbetonierte Hotelkästen, von deren Balkons man einen herrlichen Blick auf die Balkons des Nachbarnhotels hat, rechterhand die nicht endende Reihe kleiner Supermärkte, Wechselstuben und Fast-Food-Restaurants, die von den Touristen leben, die ihr Geld nicht in den überteuerten Restaurants der Hotels lassen wollen. Links in unterschiedlichen Abständen kaum auseinanderzuhaltende Hotels, rechts die beschriebenen Touristenläden, vor den Hotels ein schmaler, meist künstlich aufgeschütteter Sandstrand, hinter den Läden und -Restaurants" unsystematisch, mit Betonhäusern, für die die Bezeichnung häßlich Euphemismus ist, zersiedeltes Gelände, nähert man sich der alten Handelsstadt, die auf den Ruinen des Stadtkönigreiches Kition erbaut ist.

Manchmal, wenn wir es in Nikosia nicht mehr aushalten können, verbringen wir ein Wochenende in einem Hotel am Strand, in Larnaka allerdings weniger zur Erholung, sondern um mit Besuch aus Europa zusammenzusein, der hier ab und zu unterkommt. Bei einer dieser Gelegenheiten ergab sich, daß wir am Frühstückstisch mit einem älteren Paar aus Deutschland ins Gespräch kamen. Sie wirkten nicht sehr glücklich und ich hatte die Frage fast erwartet, die dann kam: "Sagen Sie, sieht das überall hier so aus?" Er brauchte gar nicht das Wort "scheußlich" dazusetzen oder "hier in der Gegend um Larnaka", es war klar genug, was er meinte. Ich konnte ihm nur sagen, daß sie sich leider die falsche Ecke Zyperns ausgesucht hatten und daß man wenigtens in der Gegend von Paphos auch gute Hotels in landschaftlich angenehmer Umgebung findet. Mancher Tourist findet die kurze Promenade in Larnaka selbst ganz sehenswert und auch prominierenswert. Das kann man sicherlich so und so sehen. Die breite Straße, die teils einfallslosen, teils protzigen Fassaden, die ebenso protzig-großen Laternen, die den abendlichen Strand in helles Tageslicht tauchten, sind auch unter Zyprioten umstritten. Die Straße und der dürftig aufgeschüttete Strand sind das Ergebnis langer Arbeit, die dem Ehrgeiz eines Bürgermeisters entsprang, der ein Miami auf Zypern erbauen wollte. Auf der Straße hinaus aus Larnaka zur Autobahn nach Nikosia geht es vorbei an Fabrikhallen, Autowracks, verrosteten Kränen, größenwahnsinnigen Supermärkten, lichtreklamierten Nachtclubs, Protzvillen neuesten Datums, die protzigste die eines Schweinezüchters, und dann darf durchgestartet werden.



vorheriges Kapitelnächstes Kapitelnächstes Kapitelnächstes Kapitel