Kalo taxidi - bon voyage - fuck off


Mit verschiedenen Aussichten habe ich die vorstehenden Einsichten eingeleitet. Mit einer neuen Aussicht, die bereits neue Einsichten versprechen, schließe ich hiermit meinen Erfahrungsbericht ab. Nun im siebten Stock eines schäbigen Hochhauses in Amager sitzend, blicke ich von meinem Schreibtisch im Büro über einen Teil des Kopenhagener Hafens und das südlich des Hauptbahnhofs gelegene Stadtgebiet. Wie meist, wenn ein Alptraum hinter einem liegt, und man ihn einige Zeit durch neue Eindrücke verdrängen konnte, wird er einem schlagartig wieder gegenwärtig und Schweiß trieft auf die Haut, Wutschweiß in diesem Falle.

Wenn sich jemand von einer Stelle, die einiges an Universitätskarriere verspricht, freiwillig verabschiedet und froh ist, wenn er schließlich eine akademisch nicht sonderlich erstrebenswerte Stelle als "Lektor Vikar" an einer dänischen Universität bekommt, muß einiges Unerfreuliche vorgefallen sein. Der Leser, der mich nun treu durch verschiedene Jahreszeiten und mehrere Jahre auf der Insel begleitet hat, wird sicherlich die Zusammenhänge ahnen, die hier nun offengelegt werden sollen, zumal auch diese Geschehnisse ein Spiegel der zypriotischen Zustände sind.

Bevor wir uns aber den Niederungen akademischer und politischer Eitelkeiten aussetzen, ist es vielleicht ganz angebracht, doch noch einen Blick auf einige Seiten Zyperns zu werfen, die wir nicht gemeinsam bereist haben, um so moralisch gestärkt mit der Dummheit derer besser fertig werden zu können, die zu Lebzeiten vorwiegend damit beschäftigt sind, nach dem Tode unsterblich zu sein -wohlgemerkt nicht im Sinne der christlichen Lehre.

Eine der Strecken, die zu fahren wäre, ist z.B. die jenige, die aus dem Norden Nikosias hinausführt, also im türkischen Teil. Das läßt sich gut im zeitlichen Rahmen, den ein Tagesvisum erlaubt, mit dem Taxi machen. Es setzt nur voraus, daß man sich von eventuellen griechischen Abschreckungsversuchen, z.B. der oben geschilderten Art, nicht beeindrucken läßt. Man wird dafür mit bleibenden Eindrücken belohnt, da die Straße, die sich kurz hinter Nikosia über das Pentadaktylos-Gebirge schlängelt, einen der prächtigsten Ausblicke bietet, sobald man den Kamm erreicht hat.

Der Blick hinunter geht über Kyrenia/Girne hinweg, aufs Mittelmeer und bei guter Sicht bis auf die Berge hinter der Küste Anatoliens. Das ist auch für mediterrane Verhältnisse recht beeindruckend und vor allem, wenn man aus dem häßlichen Nikosia kommt. Entlang der Straße, die sich zwischen dem Gebirge und dem Meer, durch erfrischend grüne Vegetation, durch den Norden des Landes zieht, gibt es zahlreiche Restaurants, in denen man entspannt rasten kann -auch zusammen mit dem Taxifahrer. Diesem wird man allerdings einen nicht unbeträchtlichen Betrag schulden, wenn man sich noch zu besonderen Sehenswürdigkeiten kutschieren lassen will, wie etwa Bellapais, eine der malerischsten gotischen Klosterruinen, oder die Burgruine Kantara, die hoch vom Gebirge auf Strände und Meer blickt. Daß diese mit Abstand schönste Gegend Zyperns von türkischen Truppen besetzt wurde, hat seine einfache Erklärung darin, daß die Nordküste der Insel die der Türkei nächstgelegene Küste ist und somit am schnellsten erreichbar war. Auf diesem 38% der gesamten Landesfläche finden sich mehr Sehenswürdigkeiten und schöne Strände als auf den 62% international anerkannter Republik. Trotzdem bekommt der Norden nicht einmal ein Zehntel so viele Touristen wie der Süden.

Die Gründe dafür sind offensichtlich. Der Süden ist erstens der Teil des Landes, der stets mit weißgewaschenen Hemd im internationalen Rampenlicht steht, während das oben vorgestellte "Press and Information Office" es mit permanenter Fehlinformation schafft, den Norden ununterbrochen als Buhmann dastehen zu lassen. Darüber hinaus betreibt der Süden eine aggressive Tourismus-Werbung, in der Aphrodite samt Liebe, südseeähnliche Strände und eine ungewöhnlich gastfreundliche Bevölkerung die Hauptrolle spielen. Es dürfte in den vorangegangenen Kapiteln genug gesagt worden sein, um dieses Bild etwas zurechtzurücken.

Ein wichtiger Faktor, der den Touristen in seinem Entscheidungsprozeß negativ gegen den Norden beeinflußt, ist die Unsicherheit über die Alltagssituation in jenem Landesteil. Wenn er von einem "militärisch besetzten Gebiet" hört, drängt sich zwangsläufig die Vorstellung auf, auf Schritt und Tritt mit Soldaten, Waffen, Kontrollen und ähnlichen Dingen konfrontiert zu sein.

Während besonders in Nikosia die Präsenz des Militärs auffällt, bleibt der Tourist anderen Orts weitgehend vom Anblick von Uniformen verschont. Und von einer bedrohlichen Situation, die verständlicher Weise mit dem Begriff Okkupation in Zusammenhang gebracht wird, kann schon gar keine Rede sein. Daß sowenige Reiseveranstalter Nord-Zypern im Angebot haben, liegt nicht zuletzt auch daran, daß auch sie wohl über die tatsächliche Situation unzureichend informiert sind. Die erzwungene Zwischenlandung in Istanbul, die dadurch veranlaßt ist, daß Nord-Zypern international als besetztes Gebiet gilt und nicht direkt aus dem Ausland angeflogen werden darf, sollte niemanden davon abhalten, die Schönheiten dieses Landstriches zu genießen. Nur sollte man sich vorher klar machen, daß man nicht die Möglichkeit haben wird, auch nur mit einem Tagesvisum den Süden zu besuchen, was aber nicht etwa von den Türken verhindert wird, sondern von den Griechen, nach deren Auffassung man ja illegal in das Land eingereist ist und man sich damit strafbar gemacht hat. Mit einem Stempel der "Türkischen Republik Nord-Zypern" im Paß, wird einem die Einreise auch bei eventuellen späteren Besuchen im Süden verwehrt. Es besteht allerdings die Möglichkeit, bei der Einreise in den Norden, sich das Visum auf einem Blatt geben zu lassen, daß bei der Ausreise dem Paß wieder entnommen wird.

Auch der griechische Teil hat noch Routen anzubieten, die sich zu befahren lohnt, wenn auch nicht vergleichbar mit der Strecke über den Pentadaktylos.

Eine große Enttäuschung ist das Troodos-Gebirge, wenn man von den tiefen Wäldern und grünen Wiesen des Schwarzwalds oder des Bayerischen Walds und dem Vogelgezwitscher, plätschernden Bächen und romantischen Dörfern verwöhnt ist. Die weit auseinanderstehenden Nadelbäume des Troodos behalten das ganze Jahr ihren bräunlichen Schimmer, kaum gibt es einen Bach oder eine überwältigende Aussicht, das Dorf Troodos besteht aus zwei Hotels der unteren Kategorien, drei "Restaurants" mit magerem, aber teurem Angebot, mehreren Verkaufständen für Souvenirs, einem schwächlichen Kamel, auf dem man sich für ein Entgelt, mit dem man in Arabien ein solches Tier kaufen könnte, fotografieren lassen kann und schließlich einem Polizeiwagen, der die paar hundert Meter auf und ab patrouilliert, und dessen Besatzung über ein Megaphon die Autofahrer, die ihre Wagen am Straßenrand geparkt haben, auffordert, diese dort zu entfernen.

Für viele Reisende gilt, daß, wenn sie später von ihren Reisen zehren, schöne Aussichten, die sie beeindruckt haben, eine große Rolle in der Erinnerung an eine Reise spielen. Die Motive sind zahllos und so unterschiedlich. Da bieten sich grünumsäumte Buchten mit blauem Wasser, grüne Täler vor zerklüfteten Gebirge, Ziegeldächer, Schieferdächer alter Orte vor felsigem, waldigem, wasserblauem Hintergrund, weiße Buchten, in denen sich aus dem Nebel Eiswände in dunkelgrünes Wasser schieben, einmalige Silhouetten, wie die Kuppeln und Minarette Istanbuls.

Nein, es gibt wirklich nichts vergleichbares im Süden Zyperns, aber man muß auch nicht ganz verzichten auf landschaftlichen Augenschmauß. Beschränken wir uns auf einige Vorschläge hierzu, bevor wir uns dem eigentlichen Gegenstand dieses Kapitels zuwenden, dem tieftraurigen Grund für den Abschied.

Der Besucher, der sich östlich von Limassol aufhält oder aus Limassol nicht nach Norden oder Westen herauskommt, hat folgende Möglichkeiten, sich außer an den blonden skandinavischen Touristinnen (aber das ist jetzt wirklich ein ganz geheimer Geheimtip: besonders in Ayanapa) noch anderweitig ästhetisch zu ergötzen -wie gesagt, in Grenzen, die einen nicht umwerfen: Hala Sultan Tekke am Salzsee von Larnaka, das Stavrovouni-Kloster, na gut, für die Besserwisser meinetwegen auch Pétra tou Romiou, die Felsen, bei denen Aphrodite aus dem Meer gestiegen sein soll, das Fotomotiv aller Fotomotive und dann noch, das meine ich ganz ehrlich, die mit exotischen Pflanzen und viel Wasser erholsam grün gestalteten Gärten mancher Hotels der gehobenen Klassen (mindestens vier Sterne).

Aber dann gibt es da noch diese kleinen Straßen, die sich von der Küste aus die sanft ansteigenden Hügel hinaufschlängeln, je nach Steigung mit mehr oder weniger Serpentinen. Da gibt es dann ab und zu Stellen, an denen es sich lohnt auszusteigen und den Blick die Hügel hinunter auf das Meer schweifen zu lassen, dessen Blau sich in der Ferne in milchigem Weiß auflöst. Die reizvollste der Strecken ist diejenige, die von Paphos in nordwestlicher Richtung über Peyia nach Polis an der Nordküste, die hier nicht türkisches Gebiet ist, führt. Der Blick aus dem fahrenden Auto sollte nicht vom Fahrer riskiert werden, denn hier die Aussicht wirklich so schön, daß man anhalten sollte und das Gefälle ist gefährlich steil.

Man kann nach Polis auch über eine Nebenstraße durch einige Dörfer um Inia herum fahren. Aber auch hier hat der Beton das meiste Alte aufgefressen. Hier läßt sich allerdings einer der Gründe dafür am besten verstehen. Bei einem der letzten Erdbeben ist einem alten Paar das Dach ihres alten Hauses auf den Kopf gefallen und hat sie erschlagen. Zumindest eine Entschuldigung für die Zubetonierung der Insel läßt sich also nachvollziehen. Erdbeben sind so häufig, daß sich niemand mehr davon aus der Ruhe bringen läßt. Die Beben allerdings, bei denen einem die Knie schlottern, und zwar nicht vor Angst, sondern einfach, weil man das Gleichgewicht nicht mehr halten kann, lassen niemandem kalt. Als meine Frau, die noch am Schreibtisch arbeitete, eines nachts verzweifelt meinen Namen rief, war ich schon halb wach geworden, weil das Bett sich unter mir bewegte. Während ich schwankend hoch kam, dachte ich noch "so viel Bier war`s ja nun auch wieder nicht". Als ich die angstgeweiteten Augen meiner Frau sah, und die Blumen, die sich in der Vase von links nach rechts und zurückbewegten, war mir schlagartig klar, was los war. Den Rest der Nacht verbrachten viele Menschen im Freien, meist eingezwängt in ihre Autos. Inzwischen halten sich die Medien mit der Berichterstattung über Erdbeben zurück, einmal um die lebenswichtige Tourismusbranche nicht zu gefährden, aber auch um die eigene Bevölkerung nicht zu beunruhigen, der man einfach nicht die von ihnen geforderten Verhaltensmaßregeln verständlich machen kann.

Durch Polis hindurch, das keine Reize hat, die zum bleiben veranlassen, kann man zur westlichsten "Sehenswürdigkeit weiterfahren, dem sog. Bad der Aphrodite. Man kann es auch sein lassen.

Interessanter ist, zu wissen, daß man sich hier an der nördlichen Küste der unter Naturschutz stehenden Halbinsel Akamas befindet. Das letzte Eckchen, in dem Zypern, samt Flora, Fauna und Bevölkerung noch urwüchsig ist. Jedenfalls teilweise. Oder teilweise noch. Weil auf diesen paar Quadratkilometern alles so erhalten bleiben soll, wie es ist, naja, eben Naturschutz, dürfen wenigstens hier keine Hotels gebaut werden. Bis auf das eine. Bis auf das, für das der Außenminister der Regierung Klerides, der Millionär Michaelides eine Ausnahmegenehmigung im Parlament durchsetzen konnte. Es gelang ihm, sowohl zu beweisen, daß weder der chronisch künstlich beatmete Wasserhaushalt gefährdet sei, und daß er das alles aus Nächstenliebe tat: Um der armen Bevölkerung des Akamas Arbeitsplätze zu geben! Jawoll! Da spielten auch die auf Zypern bestehenden Überkapazitäten der Hotels keine Rolle mehr. Die Motoren der Maschinen für Rodung und Erdaushub waren angeschmissen, bevor die paar zypriotischen Umweltschützer richtig begriffen, was da geschieht und die paar Leute, die tatsächlich noch versuchten, den Bauplatz zu besetzen, waren im Nu von der Polizei weggeräumt.

In Europa habe ich mich über ähnliche Vorkommnisse immer sehr aufgeregt, aber wenn man im Ausland lebt, zumal in einem, in dem man ohnehin nicht den Lebensabend verbringen möchte, kann man solche Zustände, auch Gaunereien, distanzierter betrachten. Als mir aber die Gaunereien bewußt wurden, die meine unmittelbare Umgebung betrafen, und zwar die Universität und insbesondere mein Institut, war ich doch wieder sehr viel betroffener.

Der Republik Zypern eine eigene Universität zu geben, war eine viele Jahre diskutierte Idee, die endlich unter dem linksliberalen Präsidenten Vasiliou verwirklicht wurde. Bis dahin studierten die angehenden zypriotischen Akademiker in den verschiedensten Ländern, abhängig davon, für welches Fach sie sich entschieden hatten und auch, wie die Stipendien vergeben wurden. Für reichere Familien stand es natürlich außer Frage, daß ihre Kinder an einer amerikanischen Universität studierten. Griechische Universitäten genossen auch unter den griechischen Zyprioten keinen guten Ruf und waren in jedem Falle nur eine Notlösung. Besonders anziehend war dagegen das ehemalige "Mutterland" Großbritanien, wo ein Studium sowohl eine qualifizierte Ausbildung versprach, als auch hervorragende Englischkenntnissse bei der Rückkehr.

Eine besondere Rolle spielten die seinerseitigen sozialistischen Länder, die bekanntermaßen gern Stipendien an ausländische Studenten vergaben, betrachtete man doch die zukünftigen Absolventen als ideologische Multiplikatoren. Ein Land, das sich besonders zypriotischen Studenten -aber keineswegs ausschließlich- zuwandte, war Bulgarien, wo man übrigens auch mit einem Stipendium Turkologie studieren konnte. Das hatte meine Frau getan- und hatte das Diplom zunächst nicht erhalten, weil sie in der ersten Prüfung im Pflichtfach "Marxismus-Leninismus" durchgefallen war. Ein weiteres Mitglied des turkologischen Instituts in Nikosia hat -u.a.- in Sofia studiert. Einer der wenigen türkischen Zyprioten, die nach der Invasion im Süden geblieben sind. Er hatte in Sofia seine palästinensische Frau kennengelernt. Ihr erster Sohn wurde in Bulgarien geboren, und da die gemeinsame Sprache der Eltern Bulgarisch ist, war auch die erste Sprache des Kindes Bulgarisch, der Vater sprach (und spricht) mit ihm Türkisch, die Mutter Arabisch. Nach dem Studium gingen sie in sein Heimatdorf im griechischen Teil Zyperns und leben nun mit ihren inzwischen zwei Kindern in Nikosia, wo die Kinder durch den Kontakt mit anderen Kindern Griechisch gelernt haben und dadurch, daß sie eine englische Schule besuchen, hervorragend Englisch sprechen. Zypern ist ein interessantes Land für Linguisten, die sich mit Mehrsprachigkeit befassen.

Zur Turkologie. Ihre Etablierung an der Universität war heiß umstritten. Immerhin handelt es sich um eine kleine Universität in einem kleinen Land, das sich den Luxus leistet, neben Fächern wie Physik, Chemie und Fremdsprachen, eine in verschiedene Abteilungen aufgefächerte, überdimensionale Gräzistik und eben das "Department of Turkish Studies" mit inzwischen fünf Professoren, zwei Assistenten und drei Sprachlehrern. Daß die ca. 20 Studenten, die jedes Jahr das Bachelor-Programm absolvieren, regelmäßig fast ausnahmslos arbeitslos bleiben, war eigentlich von vornherein abzusehen.

Auf der einen Seite mögen vielleicht die Befürworter eines so großen turkologischen Instituts auf Grund ihrer Unwissenheit des Arbeitsmarktes tatsächlich an ihre Argumente geglaubt haben, daß jene Absolventen überall in Ämtern und vor allem den Medien gesuchtes Personal stellen würden. Dies ist umso glaubhafter, als während der Regierungszeit Vasilious, in die die Planung und Verwirklichung der Universität fiel, es den Anschein hatte, daß es wirklich zu einer Wiederannäherung der Griechen und Türken auf Zypern kommen könne, auf die jene Regierung ja mühsam zustrebte. Aber auch unter Teilen der politischen Gegnerschaft stand man die Errichtung eines turkologischen Lehrstuhls nicht unbedingt abgeneigt gegenüber, da sich solch ein Institut nämlich sehr gut als Aushängeschild für die griechische Toleranz und politische Bemühung um Wiedervereinigung ausmachte.

Von Anfang an standen Personen aus verschiedenen Abteilungen, einschließlich der Verwaltung und insbesondere der Einrichtungen, die sich mit Gräzistik, Hellenistik, Byzantinistik beschäftigen, der Turkologie feindlich gesinnt gegenüber: Die Fraktion des Hasses. Man mische dieses mit folgenden Ingredienzien: Einem Kultusministerium, das auf der Erziehung jugendlicher in hellenistischen Geiste besteht, Studenten, die faul, fanatisch, desinteressiert und von zu Hause völlig verzogen sind, einem "Institutsleiter", der nur darum bemüht ist, sich bei seinem opportunistischen Balanceakt auf dem Seil halten zu können. Nun zu den einzelnen Punkten, denn nur durch Beispiele können sie konkretisiert und damit verstanden werden. Zur Erziehung in orthodox-christlichem, byzantinischem, hellenistischem Geiste wurde oben schon etwas gesagt. Wenn inzwischen, seit obige Zeilen geschrieben wurden, auch die betreffende Ministerin abgelöst wurde, heißt das nicht, daß die Regierung von Präsident Klerides in anderem Geiste weiterarbeitet. Also zum nächsten Punkt, für den Beispiele deshalb so wichtig sind, damit der Leser nicht den Eindruck gewinnt, da würde sich nur ein resignierter Lehrer beklagen.

Das Desinteresse der meisten Studenten liegt ursprünglich im System. Da von der Punktzahl bei der Aufnahmeprüfung abhängt, ob ein Student das von ihm gewünschte Fach studieren darf oder er lediglich Zugang zu einem Fach seiner dritten oder sogar vierten Wahlmöglichkeit bekommt, landen in der Turkologie vorwiegend Studenten, die ganz etwas anderes studieren wollten. Und nun treffen zwei Dinge zusammen. Vielen dieser jungen Menschen ist seit der Kindheit eingeimpft worden, daß die Türken ihre Todfeinde sind. Dieses ist einmal nicht die beste Voraussetzung für ausreichend Motivation, um eine Sprache zu lernen, die ungewöhnliche Schwierigkeiten bietet und recht aufwendig ist. Darüber hinaus fehlt jegliches historisches, geographisches und kulturelles Hintergrundwissen, auf dem man aufbauen könnte. Die nicht endende griechisch-zypriotische Nabelschau gepaart mit der Konzentration auf den griechischen Lebenskreis, bei der höchstens noch einige Lebenszeichen der angelsächsischen Welt wahrgenommen werden, haben den geistigen Horizont zu einem geistigen Keuschheitsgürtel werden lassen.

Von den vielen verstärkenden Momenten muß noch erwähnt werden, daß das mit Abstand am meisten angestrebte Studium dasjenige des Lehrerberufes ist. Es bedeutet Staatsdienst und damit in Zypern ein gutes Einkommen und eine gesicherte Zukunft. Beides ist von einem Turkologiestudium nicht zu erwarten. Und von einem Lehrer auch nicht unbedingt eine besondere Bildung. Beispiele sind wiederum schon genannt worden. Erinnert sei an das Unverständnis unter Lehrern, daß türkische Schüler ein Anrecht auf einen anderen als orthodoxen Religionsunterricht haben könnten, oder wenigstens das Recht, davon befreit zu sein.

Wie sich die Beschränktheit und die antitürkische Haltung der Lehrer auf ihre Schüler auswirkt, kann man bei vielen Gelegenheiten gut beobachten. Als einst eine Gruppe von etwa zehnjährigen Schülern in den Hof unseres alten Institutsgebäudes geriet, stand eine Gruppe von uns Kollegen gerade beim Schwatze zusammen. Als einer der begleitenden Lehrer uns fragte, was das denn hier für ein Institut sei, bekam er zu Antwort, das sei das Institut für türkische Studien, wo man sich mit türkischer Sprache, Literatur und Geschichte beschäftige. Daraufhin blickte einer der kleinen Burschen mit angstgeweiteten Augen um sich und fragte stockend: "Si- sind hier Türken?" während ein keckerer Knabe sich mit dem Finger an die Stirn tippte und rief: "Türkisch? Die Türken haben hier oben doch gar nichts": Ja, so sehen die Produkte zypriotischer Erziehung aus, die sich dann für die Wiedervereinigung engagieren sollen.

Von den etwa zwanzig Studenten eines Jahrganges waren in der Regel etwa drei oder vier wirklich interessiert, während die anderen mangels Alternative das Fach ohne Erfolg studierten, aber auf dem Erhalt des Diploms bestanden. Und das wurde notfalls erpreßt. Zwei beliebte Mittel waren -und sind wohl noch- Bedrohung und Verleumdung des Lehrers, um ihn insgesamt lächerlich und damit seine Zensurvergabe unglaubhaft zu machen. Das Spektrum reichte von der schon erwähnten Drohung, den Erzbischof einzuschalten bis zu dem Versuch, Lehrer oder Lehrerin der protürkischen Propaganda zu bezichtigen.

Letzteres ging ganz einfach, ein einziges Beispiel reicht: Meine Frau, die für den türkischen Grammatikunterricht zuständig war, zog zu Übungszwecken Artikel aus türkischen Zeitungen heran; Eine Praxis, die im Sprachunterricht wohl an allen Universitäten der Welt normal ist (oder sein sollte) und allemal dem Spracherwerbsprozeß sehr dienlich ist. Nun besitzen aber diese türkischen Medien -man kennt sie ja!- die unverschämte Dreistigkeit, nicht-türkischen Ortschaften tatsächlich türkische Namen zu geben, also z.B. anstatt Konstantinopolis "Istanbul" zu sagen, oder Lefkoscha statt der korrekten Form "Lefkosia", und Girne statt "Kyrenia", kurz und gut, ganz ähnlich wie die dreisten deutschen Namen Moskau für das russische "Moskwa" oder Warschau für das polnische "Warszawa" oder Peking für das chinesische "Bei-jing", welch letzteres ohnehin kein Deutscher korrekt aussprechen kann.

Die Studenten gingen regelmäßig auf die Barrikaden und forderten, Zeitungsartikel nur noch im Unterricht zu verwenden, wenn keine türkischen Ortsnamen anstelle der "korrekten" Namen vorkamen. Noch schlimmer aber war, daß meine Frau in dem türkischen Übungsbuch, das sie selbst verfaßt hatte, zwar in den griechische Beispielen die griechischen Ortsnamen, aber in den türkischen Sätzen deren türkische Äquivalente verwendete. Wie tief die darauf gegen sie massiv erhobenen Anschuldigungen, eine Verräterin zu sein und pro-türkische Propaganda zu betreiben, sie verletzte, kann leicht verstehen, wer bedenkt, daß sie ursprünglich Turkologie studiert hatte und sich mit Sprache und Kultur der Türken Zyperns befaßte, um für die Zukunft ihres Landes etwas Konstruktives zu tun.

Ich hatte versprochen, mich auf ein Beispiel zu beschränken und nun muß ich feststellen, daß mir das sehr schwer fällt, denn auch ich und weitere Kollegen haben ganz ähnliche Erfahrungen machen müssen. All die erniedrigenden Vorkommnisse addiert, würden ein eigenes Buch über die Erlebnisse am "Institut für türkische Studien" ergeben. Aber machen wir es kurz, wenn auch "schmerzlos" immer noch nicht möglich ist.

Als im Spätherbst 1996 eine internationale Studie veröffentlicht wurde, die Bildungsstand und Fertigkeiten von Schülern in zahlreichen Ländern rund um den Globus untersucht hatte, rief das Ergebnis, das Zypern einen der letzten Plätze insbesondere bei den humanistischen Fächern zuwies, gab es allseits erschrockene Reaktionen. Die nicht unerwartete Stellungnahme des Rektors der Universität Zypern bestand dann auch in der Beschuldigung des Pädagogik-Professors jener Universität, die Untersuchung nicht sachgerecht geführt zu haben. Einzelheiten des darauf folgenden Geplänkels ersparen wir uns.

In einem Leserbrief an eine Tageszeitung gab ich meine Meinung zu dem niederschmetternden Ergebnis kund, die sich zu der Zeit auf drei Jahren Unterrichtserfahrung an der dortigen Universität begründete. Mehrjährige Erfahrungen an verschiedenen europäischen Universitäten gestatteten mir darüber hinaus durchaus einen Vergleich. Meine Kritik ging in zwei Richtungen: Erstens kritisierte ich das zypriotische Bildungswesen in verschiedener Hinsicht, u.a. die gräkozentrierte, oben schon des öfteren erwähnte Weltschau, den Hochschulzugang mit nur einer Fremdsprache, selbstverständlich Englisch usw. Zweitens illustrierte ich die unzulängliche Reife der Studenten, die sich an unserem Institut den politischen Wirrwarr zunutze machten und die politisch brisante Stellung des Institus für türkische Studien ausnutzten und mit unlauteren Mitteln die Zensurenvergabe -leider erfolgreich- zu beeinflussen versuchten. Die Resonanz auf diesen Brief hält bis heute, ein dreiviertel Jahr später an, sei aber so kurz wie möglich, an Hand nur ausgelesener Beispiele geschildert.

Als erstes folgte der sofortige Befehl, beim Vize-Rektor zu erscheinen, wo mich dann, ohne Vorwarnung, nicht nur er, sondern drei Personen erwarteten, die bellend über mich herfielen. Von all dem Unsinn, den ich mir anhören mußte, war mir denn der Vorwurf, ich würde das turkologische Institut zerstören, doch zu viel.

In den darauffolgenden Tagen erhielt der Senat ausführliche Briefe von einigen Kollegen unseres Instituts, die klarstellten, wer das Institut wirklich zerstöre und sich meiner Kritik anschlossen. Mit einigen dieser Kollegen hatte ich schon circa ein Jahr versucht, die Entwicklung des Instituts in eine andere Richtung zu lenken. Das hieß vor allem, den "Head of the Department", also sozusagen den Geschäftsführenden Direktor davon zu überzeugen, den teilweise abstrusen Forderungen der Studenten nicht nachzugeben, sondern eine eindeutige Position zu beziehen und konsequent zu handeln. Aber versuchen Sie mal, lieber Leser, einer Kaulquappe das Gewichtheben beizubringen.

Unser Direktor mit dem Ehrendoktortitel einer türkischen Universität für seine turkologischen Verdienste ließ sich als Welt-Champion in Opportunismus lieber zu antitürkischen Sprüchen hinreißen, als sich auch nur auf ein einziges, vernünftiges Gespräch mit seinen Kollegen über den Zustand des Instituts einzulassen. Lieber änderte dieser Scharlatan nachträglich Zensuren, erwog bei abstrusen Klagen der Studenten, eher die Lehrer zu entlassen, als die Studenten auf ihre Pflichten hinzuweisen, vernachlässigte in einem -vor allem dem Laien- nicht verständlich zu machenden Ausmaße die Beschaffung der Literatur, die ein Wissenschaftler braucht, wie der Taucher die Sauerstoffflasche, als sich im griechischen Umkreis unliebsam zu machen und Ruhm und Geld aufs Spiel zu setzen. Wobei letztes äußerst unrealistisch war, da es gesetzliche Veränderungen des Parlaments bedurft hätte. Leider spielten zwei Personen des Personals bei der ganzen Sache eine üble Rolle; ein n türkisch-zypriotischer Lecturer und eine Griechin in der gleiche Position, die dem Rest des Lehrpersonals aus opportunistischen Gründen ständig in den Rücken fielen, nachweisbar logen und gegen die Kollegen hetzten.
Sie wurden übrigens inzwischen befördert - wie immer das in akademischer Vorgehensweise das auch möglich war. Aber Schluß jetzt mit diesem Aspekt.

Von einem der wenigen Kollegen anderer Institute, die sich mit Sympathie-Bekundungen bei mir meldeten, hörte ich dann, daß man im Senat am liebsten meinen Kopf auf einem silbernen Tablett gesehen hätte.

Wohl um die Presse zu beruhigen, wurde dann eine Kommission eingesetzt, die meine Vorwürfe untersuchen sollte. Monate später wurde ich dann vor diese Kommission geladen, die aus Professoren verschiedener Institute bestand. Es gab keine Frage, auf die ich eine Antwort schuldig blieb, und niemand erweckte den Eindruck, daß er die Richtigkeit meiner Antworten bezweifelte. Es ging eher locker und ungezwungen zu, sogar mit einigen Scherzchen über unseren "Head of the Department". Nur der Sinn einer Frage hatte mich etwas aus der Fassung gebracht und ab und zu grüble ich immer noch über ihre abgründige Tiefe nach: Ob mir denn bei der Abfassung meines Briefes nicht bewußt gewesen wäre, daß die türkische Armee nur etwa einen Kilometer entfernt sei.

Während inzwischen ein Kollege vorgezogen hatte, vorzeitig freiwillig aus dem Dienst auszuscheiden, und zwar ruhig und ohne Aufsehen zu erregen, aber nichtsdestoweniger ungeheuer erlöst, waren zwei weitere Kollegen mit identischen Vorwürfen an die Öffentlichkeit getreten, nachdem sie innerhalb der Universität nicht zur Kenntnis genommen worden waren.

So ist nun einer von ihnen in Zypern und schreibt seine Memoiren, die sicherlich ein interessantes Zeitdokument für Zypern jüngere Vergangenheit sein werden. Bevor er in den Universitätsdienst eintrat, war er im diplomatischen Dienst bei der UNO tätig, allerdings als Wissenschaftler. Als türkischer Zypriote, der im Süden geblieben war, ist er im eigenen Lande heimatlos geworden und hat sich entschlossen, bald der Insel den Rücken zu kehren und dem zweiten Kollegen, ebenfalls einem türkischen Zyprioten, nach Italien zu folgen. So, und zwei "Vertriebene" sitzen nun in Dänemark und kommen doch immer noch nicht frei vom Dreck der Lüge. Und das ist deshalb!

Nachdem wir lange vergebens auf ein Resultat der Untersuchung gewartet hatten, die die oben genannte Kommission durchgeführt hätte haben sollen, kam sie genau in der Form, in der ich es mir eigentlich auch vorgestellt hatte.

Zunächst schwieg die Uni solange wie möglich, in der Hoffnung, daß diese kleine Affäre von der Öffentlichkeit vergessen werde. Aber selbstverständlich lauert immer jemand im Hintergrund, der es dann schließlich nicht mehr aushält. So bekamen wir die Kopie eines Zeitungsinterviews zugeschickt, in dem der Vice-Rektor (und jetzige Rektor) der Universität auf die vier Kündigungen in turkologischen Institut angesprochen wurde.

Nun hatte dieser Vize schon durch eine ganze Serie von dummen Kommentaren -wie z.B. das zypriotische Studenten besser seien als Studenten anderer Länder - und persönlicher Angebereien seine Führungsqualitäten unter Beweis gestellt. Und so war nun erwartungsgemäß seine Antwort, daß sich in der Untersuchung herausgestellt habe, daß meine Anschuldigungen gegenstandslos und das Verfahren abgeschlossen seien. Ein Leserbrief seitens meiner Frau und mir an jene Zeitung wurde zwar gedruckt, unsere deutlichsten Stellungnahmen zu den verantwortlichen Personen leider abgeschwächt oder ganz weggelassen. Meine Frau ist verzweifelt und mag sich nicht damit abfinden, daß wir dafür bestraft wurden, daß wir das Recht des Stärkeren verletzt haben. Ich selbst komme besser darüber weg. Wie oft im Leben schlägt man der Länge nach hin, mit dem Maul genau in die Scheiße, rappelt sich hoch, spült das Maul ordentlich aus und dapst weiter. Es gibt schlimmeres, z.B. wenn man nicht mehr hochkommt. Aber Kopenhagen stimmt optimistisch.

In der englischsprachigen Wochenzeitung Cyprus Weekly vom 5.9.97 findet sich ein Artikel über Touristennepp auf der Insel. Ein norwegisches Elternpaar hatte sich darüber beklagt, daß ihr Sohn und ein Freund unter Androhung von Gewalt in einem Nachtclub gezwungen wurden, rund DM 1500,- für Getränke zu zahlen, die sie teilweise gar nicht getrunken hatten, sondern Damen am Nebentisch.

Als sie deswegen bei der Polizei vorstellig wurden, machte diese ihnen klar, daß sie sich das besser überlegen sollten, da allein die Erstellung eines Polizeireports drei Monate dauern würde. Das errinnert mich wieder an eine Äußerung eines der lebenserprobten Taxifahrers, daß in Zypern die Kriminalität nicht trotz der Polizei so hoch sei, sondern wegen der Polizei.

Die meisten Straftaten werden gar nicht zur Anzeige gebracht. Als mein Schwiegervater in seinem Büro von einem zahlungsunwilligen Kunden Krankenhausreif geschlagen wurde, weil er eine Mahnung geschickt hatte, verzichtete er auf eine Anzeige, weil der Mann ja ein guter Kunde, und der Vater ein Freund sei. Nun ja! Der Brief der norwegischen Eltern schließt mit dem Satz: "Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß weder wir noch einer unserer Freunde jemals wieder einen Fuß auf die Insel setzen".

Meiner Frau und mir wird das nicht so leicht fallen, denn wir haben Familie dort, und die ist nett.


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