Kyrieleison und Allahu akbar


Sonntagmorgen 7 Uhr. Bei strahlendem Sonnenschein kurz nach Sonnenaufgang ist es diesig. Der Pope in der Kirche, die etwa 200m von unserem Haus entfernt steht, hat gerade angefangen zu singen. Es wird mit dem Lautsprecher nach draußen übertragen und ist dann nach spätestens einer Stunde recht lästig. Es geht so bis gegen halbzehn oder zehn. Außer mir scheint niemand Notiz davon zu nehmen, abgesehen von den Kirchgängern, die im Laufe des Morgens die Kirche füllen werden. Wirklich gefallen tut mir dieser Singsang nur, wenn angenehme Stimmen beteiligt sind, oder wenn er sich mit dem Ruf des Muezzins mischt. Letzterer ist nur kurz, aber viel eindringlicher. Wer je im Dunkel auf dem At Meydani zwischen Sultan Ahmet und der Firuzağa Moschee von beiden verschiedenen Minaretts kommenden Gebetsruf erstarrt ist, wird sein Leben lang das Gefühl nicht mehr los, daß Allah wirklich groß ist.

Nicosia schläft noch, noch eine ganze Zeit und dementsprechend schweigen die Autos bis man so so gegen elf zu abertausenden in das Troodos-Gebirge aufbricht, um dort auf besonders eingerichteten Grillplätzen in den Rauchschwaden der vielen Gleichgesinnten sein Suvlaki zu grillen.

Wie oben erwähnt, war es von der Heras-Street aus nur ein kurzer Weg bis zu den Kiosken am Eleftheria-Platz. Hier von der Odos Olympou ist man recht lange unterwegs. Aus dem Haus hinaus kann ich links oder rechts rum gehen, wobei ich bei letzterer Richtung für kurze Zeit auf die Sofien-Selimiye zugehe um dann nochmal rechts in die Larnaka-Avenue einzubiegen. Was sich da Avenue nennt ist eine der häßlichsten Straßen der Stadt. Viel befahren, mit einem Gemisch aus alten, verfallenen, nicht so alten, aber schon im Verfall begriffenen Häusern gesäumt, führt sie geradewegs hinunter auf die Venezianische Mauer zu, die sie zwischen den Bastionen Potocataro und Caraffa erreicht. Vorher muß man allerdings noch einen besonders unangenehmen Abschnitt der Larnaka-Avenue überleben, mit lebhaften Autoeinfahrten zu Autowerkstätten, anderen Werkstätten und Handelsniederlassungen. Auf abscheulichste Art hat hier der orientalische Bazar, in Form von Konzentration einer einzigen Art von Geschäft seine Spur hinterlassen. Links und rechts statt des Bürgersteigs nur staubige, nach Regen verschlammte Seitenstreifen.

Dann endlich ist man vor der Mauer und kann in die halb- und sogar teils ganz fertigen Grünanlagen nach links abbiegen. Es dauert von der neuen Wohnung also wesentlich länger, um am Sonntagmorgen an meine Zeitungen zu kommen. Habe ich sie dann gekauft, in dem letzten Kiosk in Nicosia, in dem der Verkäufer noch freundlich "Thank you, sir" sagt, wenn er das Geld erhält, gehe ich nach meinem Aufenthalt unterhalb der D'Avila nicht immer zurück nach hause, sondern ab und zu durch die Altstadt zur Omariye-Moschee.

Dazu geht man wieder die Treppen hinauf zum Platz, biegt rechts ab, überquert die Constantinos und ist in dem Laiki Yitonia genannten Touristenviertel. Jetzt am Sonntagmorgen ist das Viertel ausgestorben, die Gassen leer, die Läden zu. Aber selbst später und auch wochentags geht es hier nie richtig lebhaft zu, obwohl das Viertel mit all seinen Souvenir- und dementsprechenden Kitschläden und den zahlreichen Restaurant-Plätzen für touristisches Getriebe eingerichtet ist. Aber Nikosia ist nun mal kein Touristen-Zentrum, das ganze Geschehen läuft sonnenbrutzelnd an der Küste ab und vor allem bei dem seltenen schlechten Wetter kommen Busse, die für drei, vier Stunden ihre touristische Fracht abladen und dann wieder wegschaffen.

Laiki Yitonia, übersetzt in etwa "völkische Nachbarschaft" ist ein speziell für den Tourismus hergerichtete und das einzige vollständig restaurierte Viertel. Mit seinen engen, verwinkelten Gassen könnte es ganz gediegen wirken, wenn nicht die Geschäfte und Restaurants ausnahmslos - und zwar in jedem Gebäude - diese Welt des Kitsches schüfen.

Nachtleben ist in Laiki Yitonia nicht eingezogen, spielt sich aber an seinem Rande ab. Vor allem in der Constantinos und in der schmalen Regaena-Street finden sich mehrere Schuppen, die sich "Cabaret" oder letztens meist "Super-Night-Club" nennen, mit Schaukästen, in denen spärlich bekleidete Thai-Mädchen ihre müden Beinchen schwingen. Der Physiognomie nach scheinen sie meist aus Thailand zu stammen, während die Mädchen, die auf den Barhockern warten um einer handgreiflicheren Beschäftigung nachzugehen in den letzten Jahren mehr und mehr aus den ehemaligen Ostblock-Ländern stammen.

Eine andere Gruppe von ausländischen Frauen sind die sogenannten Philipino-Girls, die in jedes bessere Haus gehören, allerdings nunmehr meist aus Sri Lanka stammen. Wer etwas überdurchschnittlich verdient, hält sich solch ein Plaisierchen, das für einen Hungerlohn die Wohnung sauberhält, einkaufen geht, auf die Kinder aufpaßt, den Hund ausführt, und wenn die Dame des Hauses auswärts ist auch für etwas herangezogen wird, was - wenn das Mädchen besonders mutig ist - oft vor Gericht endet und von dem weisen Richter meist so entschieden wird, daß das Mädchen wegen Vernachlässigung ihrer Arbeitsstelle die Aufenthaltsgenehmigung verliert und innerhalb einiger Stunden das Land zu verlassen hat.

Kaum ein Tourist der bestätigen kann, daß die Ausländerdiskriminierung in Zypern enorm ist. Sie bekommen nichts davon mit, ebenso wenig, wenn der Ober, der sie gerade bedient, zu seinem Kollegen sagt, daß die Touristen heute wieder unverschämt viel fressen.

In den Nachtclubs sind auch die Gäste zum großen Teil Ausländer, aber keine Urlauber, sondern meist UN, Botschaftspersonal oder andere hier dienstlich weilende Personen. Araber sind in den letzten Jahren weniger hier, ohnehin waren sie mehr in Limassol. Aber auch dort hat seitdem wieder Frieden im Libanon ist, ihre Zahl stark abgenommen. Und obwohl die hier tätigen Ausländer gern als "necessary evil" bezeichnet werden, kann von Überfremdung keine Reden sein. Wenn ich da an manche arabische Öl-Staaten denke...!

Es war an einem dunklen Abend in Dubai und wir waren auf der Suche nach einem Geschäft mit arabischen Süßigkeiten, für meine Frau ein Paradies der Geschmacksnerven, für mich ein Magenkiller. Wir gerieten in ein Viertel, in dem - ich übertreibe nicht - Abertausende von jungen und mittelälterlichen dunkelhäutigen Männern herumstanden und sich gedämpft unterhielten. Das vieltausendstimmige, von den zerebralen indischen Lauten bestimmte Gemurmel und die fast Körper an Körper stehenden Gestalten versetzten uns in eine beunruhigende Stimmung. Wir haben nie verstanden, was dort wirklich vor sich ging.
Jedenfalls schien es in den Emiraten nur wenige Araber zu geben und diejenigen, die noch in Limassol geblieben sind, halten vor allem Geschäftsverbindungen mit Beirut, der ehemaligen Perle des nahen Ostens. In jener Perle hatte ich vor vielen Jahren, es muß 1966 gewesen sein, einige Monate am Strand gewohnt, zusammen mit einigen Gleichgesinnten, die immer "on the road" waren. Von der sengenden Hitze des Tages, dem nächtlichen Schwimmen bei Mondschein, dem guten roten Libanesen aus Baalbek den Widerwärtigkeiten des Alltags stets ein wenig entrückt, hatte ich meine Visumsverlängerung vergessen und war nach einer Personenkontrole in der Sureté National gelandet, in einer Doppelzelle, getrennt durch ein von beiden Zellen einzusehendes Plumpsklo, "bewohnt" von etwa zwanzig Männern. Heiß begehrt mit meinen langen, von der Sonne ausgebleichten kornblonden Haaren, hatte ich es nur einem besonders kräftigen Jordanier, dem ich versprach ihn später in seiner Heimat zu besuchen, zu verdanken, daß ich bei meiner Entlassung noch Jungmann war. Nun, viele Jahre später, geschützt von einem umfangreichen Vorbau, ergrauten Schläfen, habe ich dieser Art Probleme hier in Zypern nicht.

Zwar schweife ich immer weiter ab, aber irgendwie tauchen auf einmal die Knasterlebnisse auf. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß ich inzwischen in meinem zellenähnlichen Büro im Institut sitze und das vergitterte Fenster vor Augen habe. Das Gitter der Zelle im Gefängnis von Calgary war allerdings nicht so schön gedrechselt. Es waren nur glatte Eisenstäbe von der Decke zum Boden über die ganze Front der Zelle. Was immer man tat, im Bett lag, auf dem Klo saß, ständig mußte man damit rechnen, daß ein Wärter auftauchte.

Gelandet war ich dort, nachdem in dem Wagen, der mich mitgenommen hatte auf dem Wege nach Vancouver, in Banff etwas Drogen gefunden worden waren, von allem ein bißchen. Ich hatte nichts damit zu tun und hatte mich schon lange aller Drogen enthalten, aber davon konnte ich den Richter nicht überzeugen. Das war mir allerdings schon in Untersuchungshaft am Tage vor der Verhandlung klargemacht worden, als ein Uniformierter zu mir kam und sagte, daß jetzt die letzte Chance sei, meine Haare abzuschneiden, andernfalls ich morgen auf jeden Fall schuldig gesprochen werden würde. Ich wollte es nicht glauben. Na ja, es ist was dran, das man nie auslernt. Im Gefängnis landete ich dann aus gleichem Grunde im "Hole", dem Loch, Dunkelzelle, kein Fenster, Loch im Fußboden. Wenn ich an diese uniformierten räudigen Köter denke, die von den Indianern, deren es viele im Knast gab, nur von den roten Hunden sprachen, vergesse ich alle miese Behandlung, die ich hier in Nicosia auf der Ausländerbehörde erlebe.

Nein, von Ausländern hat man hier keine hohe Meinung, was im Allgemeinen mit der kolonialen Vergangenheit erklärt wird. Man könnte auch andersherum argumentieren und sagen, sie hätten genug Zeit gehabt, sich an die Gegenwart von Fremden in ihrem Land zu gewöhnen. Als Deutscher mit völkerpsychologischen Erklärungen zu hantieren ist sicherlich nicht so angebracht und so unterlassen wir das hier; ohnehin will ich später noch auf die orthodoxe Kirche zu sprechen kommen.

Überhaupt stellt sich die Frage, was das heißen soll: "ihr" Land. Zwar leben heute im Süden der Grünen Linie meist Griechen und im Norden Türken, aber vor dieser willkürlichen Trennung siedelten die Türken, wie oben gesagt etwa 20% der Bevölkerung ausmachten auf der ganzen Insel. Darüberhinaus sind seit dem sechsten Jahrhundert n. Chr. in mehreren Wellen Armenier aus Ostanatolien nach Zypern gekommen. Ihre Zahl ist nicht groß, etwa 5.000 im Süden, mit eigenen Schulen und einem Bischofssitz in Nikosia. Sie sind Anhänger des gregorianischen Christentums und erkennen, im Unterschied zur orthodoxen Kirche keine menschliche, sondern nur eine göttliche Natur in Jesus Christus an. Sie treten in der Öffentlichkeit nicht groß in Erscheinung, nur in den Tageszeitungen erscheinen ab und zu Anzeigen in armenischer Schrift, die an ihre Anwesenheit erinnern.

Eine zahlenmäßig noch geringere Minderheit sind die ebenfalls christlichen Maroniten, die immerhin auch schon seit dem 9. Jahrhundert nach Zypern eingewandert sind. Zwar kommen sie in der Hauptsache aus dem Libanon, sind aber sprachlich gräzisiert. Heute sind es nur noch ungefähr 4.000, aber im 13. und 14. Jahrhundert lag ihre Zahl wesentlich höher und wird so um die 80.000 geschätzt.

Zwar kamen die Araber im 8. - 10. Jahrhundert nur zum Plündern und teilweise Tribut einzukassieren, die Franken, Venezianer, Johanniter, Genuesen und später Briten hielten sich zwar teilweise Jahrzehnte, gar Jahrhunderte auf, blieben aber doch zu den einheimischen abgegrenzte Gesellschaften. Nichtsdestoweniger haben sie - vielleicht abgesehen von den Johannitern - ihre Erbmasse, in so manchem Fall wohl von den Partnerinnen ungewollt, im Volke hinterlassen.

Wenn wir uns aber an die erkennbaren Unterschiede und dem Bekenntnis zu ihnen halten, oder mit anderen Worten an die ethnische Identität, könnten folgende Zahlen von Interesse sein.

Nach dem Zensus von 1960, dem Jahr der Unabhängigkeit Zyperns lebten in Zypern 573.566 Menschen, von denen in Nikosia, einschließlich der Vororte 95.343 wohnten. Von letzteren waren 64.153 Griechen, 22.130 Türken, 2.527 Armenier, nur 346 Maroniten, im ganzen Land allerdings 2.702; recht groß war die Zahl der hier lebenden Briten, 4.508, bei denen nicht das Militär in den Basen oder Touristen berücksichtigt wurden. Zum größten Teil wird es sich dabei um ehemalige im britischen Staatsdienst beschäftigte Briten handeln, die sich hier zur Ruhe gesetzt hatten, wie es heute noch gern getan wird, allerdings vorzugsweise in den Küstenstädten.

Das eigentliche Nikosia, ohne Vororte, die teilweise weit draußen liegen, wobei man sich wundert, warum sie eigentlich der Hauptstadt zugeschlagen wurden, hatte 1960 45.490 Einwohner. Aber die gesamte demographische Situation hat sich nach der türkischen Invasion grundlegend geändert. Insgesamt leben jetzt etwas mehr als 700.000 Menschen auf der Insel, davon im Süden 556.000. Auch hier sind wieder die Bewohner der britischen Militärbasen und die UN-Angehörigen nicht mitgezählt, ebenso wie die auf etwa 40.000 Mann geschätzten türkischen Soldaten in der Gesamtzahl nicht enthalten sind.

Obwohl zahlreiche Zyprioten teilweise vor, besonders aber nach 1974 in andere Commonwealth-Staaten ausgewandert sind, hat sich also die Einwohnerzahl erhöht. Die größten Auswanderergruppen gibt es in England, Australien und Südafrika, aber aus letzterem Land kehren immer mehr vor allem junge Leute zurück. Einige zypriotische Zeitungen widmen den Landsleuten in England und Australien in bestimmten Abständen besondere Seiten.

Die Abwanderung der Griechen aus dem Norden hat zu einer recht dichten Besiedlung geführt, u.a. dazu, daß im griechischen Teil Nicosias nun ungefähr 165.000, im türkischen Teil 45.000 Menschen leben. Die Auswanderung im nördlichen Teil hätte zu einem enormen, für die Wirtschaft, die ohnehin kontinuierlich am Boden liegt, vernichtenden, Bevölkerungsrückgang geführt, wenn man nicht Zehntausenden von Türken aus Anatolien ermutigt hätte, nach Nordzypern einzuwandern. Das war sicherlich der größte Fehler der nordzypriotischen Politik und wird sich als nur schwer zu bewältigendes Hindernis auf dem Weg zur Wiedervereinigung erweisen. Die türkischen Zyprioten selbst sehen die Festlandtürken nur als Eindringlinge in ihrem Land, wenn nicht als etwas viel Schlimmeres.

Auf besagter Taxifahrt von Nord-Nikosia nach Trikomo kamen wir an einer Siedlung, rechts abseits der Hauptstraße nach Famagusta gelegen, vorbei und der Taxifahrer, ein trauriger Mann Mitte fünfzig, dessen Frau gerade gestorben und dessen Sohn arbeitslos war, deutete mit dem Daumen drauf und sagte abfällig: "Türken!" Zuerst sah ich ihn nur begriffsstutzig an, dann fragte ich ihn, wie er das meine, er sei doch selbst einer. Daraufhin antwortete er, er sei türkischer Zypriote, aber die da seien aus Anatolien gekommen, alles Gauner, Diebe, brächten Rauschgift ins Land.

Im Süden ist diese Abneigung der türkischen Landsleute gegen die Neusiedler bekannt, was man aber nicht wahrhaben will und oft nicht weiß, ist, daß das nicht heißt, daß sie die Griechen vorziehen.

Die einzigen Ausländer, die im griechischen Teil Zyperns gern gesehen sind, abgesehen von den zahlreichen UN-Diplomaten, die zwar nur eine Scheintätigkeit ausüben, indem sie endlos das Gleiche über die Wiedervereinigung Zyperns wiederholen und damit ihrer eigenen Eitelkeit genüge tun und der kleinen Insel das Gefühl verleihen, ständig im Mittelpunkt des Weltinteresses zu stehen, sind die Devisen bringenden Touristen. Sie werden dieses Jahr auf 2.200.000 geschätzt, stellen damit die absolute Bevölkerungsmajorität und sollten eigentlich das Parlament übernehmen.

Das Touristenviertel Laiki Yitonia kann man in mehrere Richtungen verlassen. Die Ledra-Straße hinab sind wir schon gegangen, ebenso Richtung Westen die Pantelides zur Bastion Roccas. Zu unserem nächsten Ziel, der Omarieh-Moschee führen mehrere Straßen, die Solon, Aeshilous, Trikouris, oder etwas westlich, die Ares-Street jedenfalls immer Richtung Nord-Osten, auf das Taht-al-Kale Viertel zu, in dem sich unser Institut befindet. Immer wenn man die beiden Minaretts der Selimiye vor Augen hat, leicht rechts halten. Dann stehen wir unvermittelt vor einem Platz, der an Häßlichkeit seinesgleichen sucht.

Auch das Gebäude rechts in der Ecke mit dem kleinen Hof davor macht keinen sonderlich einladenden Eindruck. Das ein paar Meter vom eigentlichen Bau aus groben, graubraunen Steinquadern, stehenden klobige Minarett nur läßt erkennen worum es sich handelt. Das Gebäude ist kleiner als die Selimiye, unscheinbarer mit den paar wenigen zerstörten Bögen, sehr langgezogen durch einen Anbau. Auch hier handelt es sich um eine ehemals gotische Kirche, Bestandteil des Augustinerklosters, das 1570 durch den Beschuß der osmanischen Belagerer zerstört wurde. Heute ist es die einzige Moschee im griechischen Teil, in dem noch Gottesdienst abgehalten wird, wenn auch die Frommen heute zum größtem Teil aus arabischen Ländern, aus Persien und Pakistan stammen. Der Innenraum ist kahl wie der in vielen Moscheen. An den Wänden sind ein paar Teppiche und einige Kalligraphien, die Basmallah, Abschnitte aus Suren und der künstlerisch nicht zu überbietende, zu einem einzigen Schriftzeichen verschlungene Name "Muhammad", die wohl perfekteste Ligatur der Welt. In der Mitte auf der rechten Seite steht ein bescheidener, aber hübscher, grauer, nach Mekka ausgerichteter Mihrab. Das Dach wird von Holzbalken getragen, darüber Rindengeflecht. Wenn der Muezzin ruft, finden sich tatsächlich einige Gläubige ein. Sonntag morgens ist die Moschee allerdings geschlossen, aber ihrer Nordseite gegenüber gibt es ein Kafeneion, in dem innerhalb und auch außerhalb unter einem Zeltdach sitzen kann. Drumherum stehen blühende und nicht blühende Pflanzen in Gefäßen jeder Art und Größe. Hier sitz' ich gern, mit Blick auf die Moschee, obwohl die wirklich nicht sonderlich schön ist. Aber sie wird verschönt von den Pflanzen um mich, vom Kaffe metrio vor mir auf dem Tisch und den Zeitungen, die ich jetzt mit Muße lesen könnte, aber aus irgendeinem Grund nicht tue, auch hier nicht.

Interessanterweise werden weder die Omariye-, noch die Selimiye-Moschee in dem von der nordzypriotischen Regierung herausgegebenen Band "Kıbrıs'ta Türk eserleri", "Türkische Bauwerke in Zypern", erwähnt. Was sicherlich darin begründet ist, daß es sich ursprünglich um vortürkische Bauten handelt. Erwähnt wird dagegen das Omariye-Bad, Ömeriye Hamam , das direkt neben uns ist, und dem das Kafeneion angeschlossen ist. Im oben genannten Bändchen steht, daß nicht bekannt ist, ob es heute noch in Betrieb ist, aber es ist und wenn eingeheizt wird, und die Tür zum Heizungsraum offensteht, sitzt man zwei Meter neben der rauschenden Flamme. In der Gasse hinter dem Bad und die Pentadaktylos-Straße weiter hinauf gibt es zahlreiche Türen, die vom späten Vormittag an immer offen stehen, sofern das Wetter es erlaubt. Wenn sie bei schlechtem Wetter nicht geschlossen wären, könnten sich die Damen, die dort in einem meist behaglichen Zimmer mehr oder weniger bekleidet sitzen, auch leicht erkälten.

Wenden wir uns von diesen sündigen Gassen ab und verlassen ebenso schweren Herzens das gemütliche Kafeneion und gehen nur einige hundert Meter in östliche Richtung die Patriarchis-Grigorios-Straße hinab und biegen links ab, stehen wir vor dem flächenmäßig wahrscheinlich größten Bau Süd-Nikosias und der größten Statue der Stadt.
Langgestreckt imponiert hier der in byzantinischem Stil, aber erst in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts von Makarios III. gebaute Bischofspalast. Wie ein bedrohlicher Schutzpatron oder unbeugsamer Grabwächter erhebt sich davor die Kolossalstatue des Makarios, errichtet von seinem Nachfolger, dem früher schon erwähnten Chrysostomos. Nicht unbedingt am Sonntagmorgen, aber sonst etwas später und dann bis Sonnenuntergang stehen meist Touristen in Fotopositur davor. Die große Palastanlage, die auch mehrere Museen beherbergt, wie das Ikonenmuseum oder das EOKA Museum, zeugt tatsächlich von Macht und Reichtum der orthodoxen Kirche auf Zypern.

Fast jeden Tag gehe ich hier vorbei ohne je beeindruckt gewesen zu sein und von der überdimensionalen Statue schon gar nicht. Schon eher von der Schönheit des kurzen Abschnitts durch einige enge Gassen, die nach nur etwa zweihundert Metern an der Taht-el-Kale Moschee vorbei, der Chrysaliniótissa-Kirche zum turkologischen Institut führt. Vom Bischofspalast in östliche Richtung führt die Koraes-Street direkt auf das Freiheitsdenkmal zu, das einige Freiheitskämpfer darstellt und sich in einem Winkel der Bastion Prodokataro erhebt. Von hier führt die Straße innerhalb der Mauer zur Bastion Caraffa, kurz davor steht man jedoch am Famagusta Tor, das letzte erhaltene der drei Stadttore. Wie der Name schon vermuten läßt führte es nach Osten hinaus. Ursprünglich Giuliana genannt, nach dem Grafen Giulio Savorgnano, nach dessen Plänen die Mauer 1567 begonnen wurde, trafen sich hier die Straßen, die hier in die Richtungen Larnaka, Limassol und eben Famagusta führten. Der Durchgang ist eigentlich eine Halle von beeindruckender Größe, insgesamt 45m lang und mehrere Meter breit, mit größeren Nebenräumen versehen. So bot sich dieses Tor für kulturelle Nutzung geradezu an und beherbergt heute Ausstellungen und andere Ereignisse.

Das Famagusta-Tor liegt im südlichen Winkel der Bastion Caraffa. Die Nikiforos Phokas Avenue, die von hier innerhalb des Rings nach Norden führt, verläuft vorbei an der King George Street, die heute nach Osten aus der Altstadt führt, noch ein paar Meter weiter und endet dann kurz vor der Bastion Flatro an einer Straßensperre, auf deren anderer Seite wieder der türkische Teil ist. Könnten wir unseren Weg fortsetzen, kämen wir so noch an den Bastionen Loredano und Barbaro vorbei und wären dann wieder am Girne Kapısı bzw. Kyrenia Gate angekommen, von dem wir an einem anderen Tage aus in den türkischen Teil gegangen waren. Wir hätten dann alle elf Bastionen kennengelernt. So müssen wir uns mit dem Wissen begnügen, daß sie zumindest alle die gleichen Maße haben, z.B. einen Umfang von 347,45m und damit 9.972m2 herzförmiges Gelände umfassen und jeweils genau 275m voneinander entfernt sind.

Versehen mit solch erleuchtendem Wissen beenden wir unseren Sonntagsspaziergang und kehren in den wöchentlichen Alltag zurück, z.B. den heutigen Donnerstag, den 7.12.1995. Dem Leser sei zur Beruhigung mitgeteilt, daß der junge Soldat, der auf der türkischen Seite der Grenze mit einem türkischen Kollegen eine Zigarette rauchen wollte, freigelassen worden ist. Das hat keine Freudenstürme ausgelöst, sondern die Rücktrittsforderungen an den obersten Richter Makrides verstärkt, der vor drei Tagen einen türkischen Zyprioten, der seit kurzem wegen Haschischschmuggel im Süden einsaß mit der Begründung freigelassen hatte, daß an einer Strafverfolgung kein öffentliches Interesse bestünde. Natürlich kam sofort der Verdacht eines Deals auf, der nun noch verstärkt wurde. Auch war die Rede davon, daß im Krankenhaus am Körper des Türken Verletzungen festgestellt worden waren, die als Folterspuren gedeutet werden können, und da Teile der Polizei sich ohnehin derzeit Foltervorwürfen ausgesetzt sehen...

Und noch ein Ereignis des heutigen Tages: Meine Schwägerin war heute Morgen anderthalb Stunden mit dem Auto aus Limassol angereist, um sich hier kirchlich scheiden zu lassen, da sie ja kirchlich, sowie staatlich, verheiratet ist. Nachdem sie kürzlich nach jahrelangem Aufenthalt in Südafrika zurückgekehrt und mit hiesigen Sitten kirchlicher Nächstenliebe nicht mehr so vertraut ist, betrat sie in lange Hosen gekleidet, den oben erwähnten Bischofssitz. Woraufhin man sie rüde wegen ihrer Beinkleidung des heiligen Ortes verwies. Sie tauschte dann mit meiner Frau, die sie mit einem Rock bekleidet begleitet hatte jene Kleidungsstücke. Allerdings wurde sie während der Verhandlung nie direkt angeredet, sondern ausschließlich der Anwalt, der sich jedoch als unfähig erwies, nichts erreichte, aber nun sein Geld will. Nun, wenigstens die Anwälte sind überall gleich.



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