Kopiaste, arkadaşlarım, an der Aya Sofya Camii


Es ist wirklich merkwürdig. Merkwürdig im wahrsten Sinne des Wortes, wert, sich daran zu erinnern. Eben bin ich aus der Haustür getreten und die Straße in Richtung Stadt gegangen. Dabei habe ich in etwa einem Kilometer Entfernung etwas unterhalb gelegen die Altstadt vor Augen. Ich gehe dabei kurze Zeit auf die Selimiye mit ihren beiden Minaretts zu.

Vor knapp einer Stunde habe ich dort unten ihrem Eingang gegenüber in einem kleinen Restaurant gesessen, Schischkebab auf Fladenbrot gegessen und Ayran getrunken. Danach hat mich ein Bekannter mit dem Auto wieder zum Grenzposten gebracht, wo wir uns unter Versicherung der Freundschaft und mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen vor dem Schlagbaum auf der türkischen Seite verabschiedet haben. Ganz in der Nähe und gleichzeitig so weit weg.

Dabei gibt es für Besucher mit einem nicht-zypriotischen, nicht-türkischen oder nicht-griechischen Paß prinzipiell kein Problem, mit einem Tagesvisum von der griechischen Seite aus die türkische zu besuchen. Nur andersherum geht es nicht, weil man dann einen Einreisestempel der nicht anerkannten "Türkischen Republik Nord-Zypern" im Paß hat und somit nach griechisch-zypriotischer Auffassung illegal auf die Insel gekommen ist. In meinem Falle bin ich mehrmals daran erinnert worden, daß ich als Universitätsangehöriger im Staatsdienst sei und ein Besuch meinerseits in den "besetzten Gebieten" nicht erwünscht sei und Konsequenzen haben könne. Welche kann ich nur raten; es kann nur die Verlängerung meines Vertrages betreffen. Keiner meiner Kollegen hat es bisher gewagt, einmal den Norden zu besuchen. Gerade für uns Turkologen ist das eine absurde Situation, da wir möglichst engen Kontakt zu türkischem Kulturgeschehen, Publikationen usw. haben sollten, um immer bestens informiert zu sein, zumal das turkologische Institut an dieser Universität vor allem mit der Begründung eingerichtet wurde, daß es durch verschiedenerlei Tätigkeiten einen wichtigen Beitrag zur Wiedervereinigung leisten sollte, einer Wiedervereinigung, die in all den Jahren kein Stückchen näher gerückt ist, an die kaum noch jemand im Süden glaubt, und kein Türke im Norden je wieder haben will. Auch den eben erwähnten Bekannten, der mich mit dem Wagen zum Check-Point gebracht hat, habe ich gefragt, wie ich alle Türken frage, mit denen ich ins Gespräch komme. "Ich habe natürlich mit griechischen Kindern gespielt, ich habe Griechisch gesprochen; wir sollten wieder Freunde sein. Freunde ja! Vielleicht mit offenen Grenzen und stets möglichen Kontakten, aber wieder mit Griechen zusammenleben? In ein und demselben Staat? Nie wieder!"

Der einzige Grenzübergang befindet sich westlich außerhalb der Altstadt. Von Constanzo und D'Avila kommend folgt man entweder der - hier Homer Avenue geheißenen - Straße um den Stadtgraben weiter vorbei an der Bastion Tripoli und gelangt kurz darauf zur Bastion Roccas. Oder man geht die gleiche Richtung innerhalb der Mauer die schmale, aber nicht weniger stark befahrene Pantelides, ebenfalls bis Roccas, wo man ohnehin die Altstadt verlassen muß, da die in östliche oder nördliche Richtung verlaufenden Paphos Street bzw. Victoria Street gesperrt sind. Aber auch hier steht man nicht vor klinisch sauberen, von preußischem Ordnungssinn erbauten Betonmauern, sondern vor Blech- und Sperrholzverhauen, verstärkt von mit Beton gefüllten angerosteten Ölfässern, darüber Stacheldraht. Diese Fässer stehen auch an manchen Stellen nur so in der Gegend rum, jedenfalls ohne die Funktion einer Sperre zu haben, vielleicht nur jetzt nicht mehr.

Die Bastion Roccas gehört zum türkisch kontrollierten Teil. Während man unten um sie herumgeht in Richtung Grenzübergang, kann man manchmal oben auf der Mauer, direkt hinter dem dort verlaufenden Drahtzaun, Kinder und Jugendliche stehen sehen, die das Treiben unten auf der griechischen Seite beobachten. In dieser Straße gibt es auf der rechten Seite noch ein paar bewohnte Häuser, ehemalige Villen, und auf der linken Seite noch zwei wirkliche Villen, die eine die griechische Botschaft, die andere das deutsche Goetheinstitut, schon halb hinter dem griechischen Schlagbaum gelegen.

Es geht auf der rechten Seite vorbei an einer Ruine, die einen phantasievollen Menschen etwas erahnen lassen kann, was ihn im Niemandsland erwartet.

Zunächst aber heißt es, die griechische Kontrolle zu passieren, die in einem kleinen, eingeschössigen Provisorium untergebracht ist. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung und kann ganz schnell gehen, je nachdem wie lange der Beamte braucht, um von seiner wichtigen Tätigkeit aufzublicken oder sein Telefongespräch zu beenden und den Grenzgänger wahrzunehmen. Dann werden Daten aus dem Paß in ein Buch übertragen, die Uhrzeit des Grenzübertritts dazugeschrieben, es gibt eine kurze Ermahnung, drüben nichts zu kaufen und bis 17.00 Uhr zurückzusein, was beides auch auf einem handgekritzelten Plakat an der Wand hinter dem Beamten zu lesen ist und man ist entlassen.

Was folgt ist Leere, nicht Wüste, nicht nichts, sondern das Gefühl, das man hat, wenn man nach einem Krieg durch die zerstörte Stadt geht. Sie stellt sich auch dadurch ein, daß die Zeit stillsteht. Ist es so oder meint man das nur, daß nicht einmal ein Vogel zwitschert. Dann plötzlich ein paar Musikfetzen. Sie kommen aus dem ehemaligen Ledra-Hotel auf der linken Seite, hinter dessen schäbiger Fassade man keinen UN-Stützpunkt vermuten würde. Dann wieder Ruhe, die Ruhe, die mit Tod und Spannung einhergeht. Links und rechts zerschossene Gebäude, die gestern erst verlassen worden sein könnten. wie aus einem Film taucht man in die Wirklichkeit auf, wenn man einige hundert Meter vor sich den türkischen Grenzposten sieht mit türkischer und zypriotisch-türkischer Flagge.

Hier ist man nicht so provisorisch eingerichtet. Ein zweistöckiges Gebäude mit mehreren Räumen und einer ganzen Schar von Grenzbeamten und -beamtinnen. Erfassung mittels Computer statt abgegriffener Kladde, dann geht es einen Stock höher in die Visa-Abteilung. Es kostet ein Zypern-Pfund und man kommt sich etwas vor, als würde man Eintritt zahlen. Die Behandlung ist hier etwas freundlicher als auf griechischer Seite, wo man nicht gern sieht, wenn jemand "die besetzten Gebiete" besucht, weil man das als halbe Anerkennung jenes Staates betrachtet. Auf dieser Seite ist der Besucher nicht nur willkommener Devisen-Bringer, sondern auch jemand, der sich von den Griechen nichts hat vorschreiben lassen. Kaum ist man aus dem Gebäude wieder raus, heißt es "you want a taxi, Mister?" Will man nur in die Innenstadt, ist das nicht nötig, innerhalb von zehn Minuten ist man dort zu Fuß. Zwischen den Bastionen Mula und Quirini führt die Memduh Asaf Caddesi in die Altstadt.

Es ist empfehlenswert innerhalb der Mauern fünf Minuten in nördliche Richtung bis zum Kyrenia-Tor, bzw. Girne Kapisi zu gehen. Nur ein Stückchen weiter - außerhalb der Mauern - ist übrigens die philatelistische Abteilung der Post der "Türkischen Republik Nord-Zypern". Es lohnt sich nicht nur für den Briefmarken-Sammler, sondern auch für den Soziologen, der sehen möchte, was vier Beamte in einem Büro machen, in das vielleicht alle zwei Wochen sich mal ein Klient verirrt. Ansonsten ist es außerhalb der Altstadt noch häßlicher als auf griechischer Seite, da hier die Wohn- und Kleinindustriegebiete laufend ineinander übergehen, wo auf der einen Seite schon die romantische Morbidität vorbei ist, Neuorientierung und Modernität auf der anderen Seite aber auch noch nicht angefangen haben.

Für philatelistisch Desinteressierte empfiehlt sich deshalb, sofern er in Nicosia bleiben möchte und nicht etwa mit dem Taxi nach Kyrenia, dem hübschesten und einzigen Ort Zyperns mit einem alten, kleinen, malerischen Hafen fahren möchte, die Kyrenia-Straße, also heute Girne Sokak, in Richtung Zentrum zu gehen. Auch sich am Girne-Tor aufzuhalten lohnt sich nicht. Ein überraschend kleiner, klotziger Bau mit einem nachträglich aufgesetzten fast quadratischen Turm, wurde es 1931 von den englischen Kolonialherren geschlossen und der Verkehr drumherumgeleitet, sodaß es heute in der Mitte eines Roundabouts steht. Innerhalb der Mauer östlich breitet sich ein mäßig belebter Platz aus, mit einigen fliegenden Händlern und u.a. einem Taxistand, dessen Fahrer jetzt in der kühleren Jahreszeit draußen in der Sonne sitzen und rauchen. Von hier fuhr ich bei meinem letzten Besuch im Norden Richtung Osten mitten in die Mesaoria in das Dorf, aus dem die Familie meiner Frau stammt. Man hatte mich gebeten, nach den alten Häusern zu sehen und möglichst viele Fotos vom Dorf zu machen.

Ich kam mir vor wie ein Spion mit der ständig schußbereiten Kamera in der Hand, und dem Taxifahrer war es offensichtlich auch nicht ganz geheuer, denn nachdem er mich mehrmals verwundert von der Seite angeschaut hatte, wagte er die indiskrete Frage, was mich an diesem gottverlassenen Nest eigentlich so interessieren würde. Besonders, daß ich dort fotografierte, wo nichts zu sehen war als Reste von Mauern aus Lehmziegeln inmitten eines versteppten Feldes, mußte merkwürdig scheinen. Aber ich wußte, daß es das Haus meines Schwiegervaters gewesen sein mußte. Der von ihm gezeichnete Lageplan war deutlich genug. Zur Ablenkung ließ ich mich noch nach Salamis fahren, schoß ein paar Pflicht-Fotos von den Säulen und lud den Taxifahrer zu einem guten Essen und Bier ein. Noch zwei Päckchen gute Zigaretten und er hatte mich auf türkisch herzliche Art in eben jenes Herz geschlossen.

Irgendwie bin ich der "unser altes Haus-Besucher" der Familie. Vor dem Fall der Mauer war ich das erste und bis jetzt einzige Familienmitglied, das unser altes Haus in Schlesien besucht hat. Auch damals habe ich mich von einem Taxifahrer fahren lassen, von Breslau nach Ohlau. Mit dem Fotografieren war ich damals etwas erfolgreicher, da das Haus im Gegensatz zu dem in Trikomo noch stand. Aber ich schweife zu weit ab.

Durch die Altstadt kommen wir sehr gut ohne Taxi. Es sind ohnehin nur ein paar Schritte vom Girne-Tor die Girne-Straße hinunter bis man auf der linken Straßenseite zu einem unauffälligen, einstöckigen langen Gebäude aus grauen Steinquadern kommt. Unter einem steinernen Torbogen betritt man den Innenhof des alten im 17. Jh. erbauten Mevlevi Tekkesi, also des Klosters der Mevlevi, der tanzenden Dervische. Wann immer ich einen solchen Vorhof einer kontemplativen Öffentlichkeit betrete, vor alle von einer belebten Straße her kommend, spüre ich das Bedürfnis, die Arme auszubreiten, tief einzuatmen und einen Moment die Augen zu schließen. Am wirkungsvollsten sind in dieser Hinsicht der Zenklöster in Japan, wenn man nicht gerade das Pech hat, einer Busladung Touristen in die Quere zu kommen. Diese Gefahr läuft man in der Mevlevi-Tekke nicht. Im ruhigen Innenhof stehen Grabsteine mit osmanischen Inschriften und dem üblichen mit der Stele aus einem Stück geschlagenen Turban darauf. Rechts in das Hauptgebäude führt eine Tür in das Semahane, den Raum, in dem die Sema, die in die gottessichtige Trance führenden Kreiseltänze getanzt wurden. In dem dafür geschaffenen Rund stehen ein paar sehr unecht wirkende Puppen in der Kleidung des Mevlevi-Ordens und den typischen Tanzpositionen. Der Orden wurde im 13. Jh. im anatolischen Konya von dem aus Persien eingewanderten Mevlâna Dschelâleddin Rűmî gegründet, der sich auch als Dichter mystischer Lyrik hervorgetan hat und in dessen Dichtung sich auch die ersten Einsprengsel in türkischer Sprache auf anatolischem Boden finden.

Eindrucksvoller als das Semahane mit seinen dürftigen Ausschmückungen durch Korane und verschiedene Gebrauchsgegenstände ist der niedrige Kuppelgang, der vom Semahane ausgehend etwa 20 Meter an der Straßenseite verläuft. Hier stehen 16 Türbe, Grabmäler, eher Sarkophage, aber geschlossen, nach oben spitz zulaufend, jedes mit einem grünen Tuch bedeckt, völlig identisch, bis auf zwei, deren steinerne Mützen zu beiden Enden des Grabes größer sind als die an den übrigen Gräbern.

Das durch die niedrigen Fenster sanft hereinfallende Licht dämpft die Stimmung noch mehr, sodaß Stimmen und Verkehr von der Straße wie von einer anderen Welt kommend hereinsummen. Hier sind ehemalige "Dede", Vorsteher des Klosters begraben, von denen aber nur einige namentlich bekannt sind, so im ersten Grab vom Semahane kommend der Scheyh Selim Dede, der dem Tekke von 1934-1954 vorstand, zu einer Zeit also, als die Tekke in der Türkei schon längst verboten waren, nämlich unter Atatürk 1925.

Zurück in der mäßig betriebsamen Girne Sokak geht es weiter in Richtung Innenstadt. Nach wenigen Minuten ist man am Atatürk-Platz, in dessen Nähe sich die Hauptpost befindet und um den herum die meisten Banken Niederlassungen haben. In der Mitte des Platzes steht wider Erwarten keine Atatürk-Statue, sondern die Venezianische Säule, die aber auch nicht von bleibendem Eindruck ist. Interessant ist nur, daß sie im 16. Jahrhundert von Venezianern aus Salamis hergebracht wurde. Während die Wappen vornehmer Familien noch erkennbar sind, wurde der Markuslöwe von den englischen Kolonialisten von der Spitze der Säule entfernt und stattdessen ein Globus daraufgesetzt. Der Gedanke liegt nicht allzu fern, daß er die englische Weltherrschaft symbolisieren sollte. Reste davon gibt es ja immer noch, z.B. im Süden dieser Insel, wo zwei Militärbasen, einschließlich englischer Reihenhäuser, Läden und Golfplätzen von ordentlichem, stabilem, kolonialem Draht gegen zypriotische Freiheitskämpfer geschützt sind. Letztere machen allerdings in neuerer Zeit vor allem in ihrer Eigenschaft als Autofahrer ihre Freiheitsliebe deutlich, indem sie deutlich die vorgeschriebene Geschwindigkeitsgrenze überschreiten. Und da kommen ganz schön viele Freiheitskämpfer im Laufe eines Jahres zusammen, führen doch die Verbindungsstraßen zwischen vier wichtigen Ortschaften - zwischen Larnaka und Ayanapa und zwischen Limassol und Paphos - durch die Basen. Diese Märtyrer des Dranges nach Freiheit finden sich dann stets gar mit Lichtbild in den Zeitungen wieder, wenn sie sich weigern, vor einem englischen Gericht zu erscheinen oder während ihres Erscheinens dem Gericht ihrer Majestät das Recht absprechen, über einen Griechen Recht zu sprechen. Ich habe schon Fotos gesehen, auf denen diese Helden des Widerstandes auf den Schultern aus dem Gerichtssaal getragen wurden.

Vielleicht irre ich mich aber auch und die Weltkugel symbolisiert etwas ganz anderes oder den freiheitsliebenden Helden war es im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt, um diese Kugel dort zu entfernen... Jedenfalls bin ich schon längst auf dem Weg zur Selimiye-Moschee, wo sich jenes kleine Restaurant direkt gegenüber dem Hof mit dem großen, runden Brunnen zur rituellen Waschung befindet, das ich schon erwähnte. Auf ständig frisch gebackenem Brot gibt es Schischkebab oder Schischköfte oder frische Lahmacun mit jungen Zwiebeln dazu.

Aber bis dahin muß man vom Atatürk-Platz noch durch einige Gassen. Am besten, man entscheidet sich für die Girne Sokak, denn dann geht man noch durch einen richtigen Basar, der zwar in keiner Weise an den Istanbuler Basar erinnert, sondern höchstens an diejenigen türkischer Kleinstädte, aber die Fülle der Waren jeglicher Art rechts und links der Gassen richtet sich noch an Einheimische und ist nicht wie in den im Süden auf alt getrimmten Vierteln für Touristen bestimmt. Außerdem liegen zwei interessante Gebäude auf dem Weg, das Büyük Han und das Kumarcilar Han, also die Große Karawanserei aus dem 16. Jahrhundert und die "Glücksspieler-Karawanserei" aus dem 17. Jahrthundert. Auf dem Platz vor dem letzteren lädt eine Teestube zum Rasten ein; von hier läßt sich gemütlich bei einem Tschai,dem typischen türkischen Tee, dem Treiben ringsum zusehen.

Zur Selimiye sind es von hier drei bis vier Minuten, eine empfehlenswerte Unterbrechung wäre noch der Kauf einer Portion Helva, von einem Riesenstück abgeschnitten, daß im Schaufenster eines Händlers steht, der nichts als Helva verkauft, und der ein Meister seines Faches ist.


Zypern war nur durch einen Urlaub in Grönland zu ertragen
Zypern war nur durch einen Urlaub in Grönland zu ertragen

Und dann steht man unvermittelt vor diesem Zwittergebäude, dessen breite, gedrungene Front, mit dem großen, gotischen Fensterbogen in der Mitte, eben deutlich die Gestalt einer alten christlichen Kathedrale hat, auf deren Seiten jedoch statt der viereckigen, wuchtigen Türme, ganz unangemessen, sich zwei schlanke, hohe Minaretts erheben, als müßten sie sich festhalten, um nicht von diesem ungewöhnlich niedrigen Basilika zu rutschen. Deshalb steht man so unvermittelt davor, weil diesen Bau kein großer Platz umgibt, nur eine schmale Straße, auf deren anderer Seite, Händler, kleine Handwerkstätten, oder Restaurants untergebracht sind. Nur auf der westlichen, der Rückseite des Kirchenschiffes ist mehr Raum wo auch das Kapitelhaus liegt.

Ich muß gestehen, daß ich diese Kirchenmoschee noch nie betreten habe und müßte nach osmanischer Sitte sagen: der Autor dieses unleserlichen Textes, dieser nichtswürdige, sich im Staub zu Füßen seines Lesers windende, unwissende Wurm, aber da diese Zeiten - wem seis gedankt? - vorbei sind, verweise ich auf die zuständigen Reiseführer, in denen steht, daß das Kreuzgratgewölbe des Langhauses von großen Säulen getragen wird, daß die Innenräume jetzt weiß überkalkt sind, die Räume, wie in Moscheen üblich, üppig mit Teppichen ausgestattet sind und vieles andere mehr. Und in guten Führern steht auch noch, daß mit dem Bau 1209 begonnen wurde und diese damalige Sophienkathedrale die Krönungskirche der Herrscher des Hauses Lusignan war.

Wenn ich das Gebäude noch nie betreten habe, liegt das nicht etwa daran, daß es eben gleich gegenüber das gute Schischkebab gibt, aber an dem Drumherum liegt es schon. Einmal kann ich mich nicht sattsehen an dem architektonischen Gemisch, das die Moschee umgibt und sich teilweise in zerfallendem Zustand befindet, dann sind es Obst- Gemüse-, Souvenir- und Fischhändler. Hier kommt der frische Fisch auf den Ladeflächen von Kleinlastwagen so reichlich wie in einer Hafenstadt. Im griechischen Teil hat man Schwierigkeiten frischen Fisch zu finden. Einen einzigen Fischladen habe ich in Nikosia entdeckt und man findet eher ein Restaurant, das sich preist, fish'n'chips original importiert aus England zu bieten, als Restaurants, die frischen Fisch servieren. Er wird teilweise aus dem Norden geschmuggelt, besonders durch das Dorf Pyla, das auf der Grenze liegt und noch gemeinsam von Griechen und Türken bewohnt wird. Auch Schafe und Ziegen werden geschmuggelt und immer wieder mal landet ein griechischer Zypriote vor Gericht, weil dies die einzige Möglichkeit war, den üppigen Hochzeitsschmaus des Sohnes oder der Tochter finanzieren zu können.

Was mich außerdem außerhalb dieses sicher auch von innen sehenswerten Bauwerkes hält, ist aber etwas anderes, etwas stimmungsmäßiges, das zwar mit der Betriebsamkeit zusammenhängt, aber auf eine besondere Weise. Geht man von der Selimiye in die kleinen von Werkstätten gesäumten Gassen Richtung Süden, steht man vor diesen Sperren, die hier das Ende der Welt bedeuten. Und man weiß, drüben, wenige Meter dahinter sieht es ganz genauso aus. Kleine Werkstätten, zwischendurch ein Kafeneion, dem hier das Kahvehane oder Çayevi, Teehaus, entspricht. Vom Marktplatz drüben kann man die einzelnen Quader der Moschee erkennen, und doch verläuft hier der erbarmungslose Schnitt, den ein skrupelloser Chirurg durch das ganze Herz getan und es in zwei autonome Hälften geteilt hat, die aber beide schlagen und jede für sich lebensfähig sind. Über diesen Schnitt des einstigen Herzens, über den Stacheldraht der Straßensperren hinweg bewerfen sich jetzt die jungen Griechen und Türken bei verschiedenen Gelegenheiten gegenseitig mit Steinen und Schimpfworten. Wie neulich, am 15.11., dem Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung Nordzyperns. Wie die jungen Matadoren in der Arena sich besonders wild auf den heranstürmenden Stier stürzen, um ihre Männlichkeit zu beweisen, stürmen diese jungen Griechen über die Stacheldrahtabsperrungen auf türkisches Gelände, um dann mit schmerzverzerrten Gesichtern den Kameras der Journalisten ihre blutigen Hände hinzustrecken.

Noch nie ist dabei einer von einer Kugel türkischer Wachsoldaten verletzt worden. Was manchmal an ein Wunder grenzt. Vielleicht hat da der Heilige Georgios, Schutzpatron Zyperns, seine Hand im Spiel. Wie neulich, als ein - wie sich später herausstellte psychisch gestörter - junger Mann von 22 Jahren mit seinem Auto eine Absperrung durchbrach, und obwohl mehrere Schüsse auf sein Auto abgefeuert wurden, unverletzt blieb. Er durfte inzwischen von seinen Eltern besucht werden, die als Eltern eines armen Opfers des bösen Attila am Grenzübergang sich den Weg durch die Journalisten bahnen mußten. Der junge Mann gab an, daß er in sein Dorf zurückwollte, das im Norden liegt, und das er im Alter von knapp zwei Jahren verlassen hatte.

Übrigens ist inzwischen der junge Grenzsoldat wieder aufgetaucht, dessen spurloses Verschwinden vorher schon mal von mir erwähnt worden war. Daß die türkischen Behörden vier Tage lang die Bekanntmachung zurückhielten, daß der junge Mann gesund in einer Zelle saß, ist nichts als Schikane und Machtdemonstration, ebenso wie die Düsenjäger der türkischen Armee, die vor ein paar Tagen im Tiefflug über den griechischen Teil Nikosias donnerten. Er war übrigens selbst auf die andere Seite gegangen, um - wie er sagte - mit seinen türkischen Kollegen eine Zigarette zu rauchen. In seinem Dorf lebe er mit Türken zusammen und habe sich nichts dabei gedacht. Er sitzt immer noch und die UN vermitteln. Wahrscheinlich wird er in ein paar Tagen zurück sein. Auf dem Rückweg, die Schlagbäume hinter mir, gehe ich wieder an der Bastion Roccas vorbei. Oben von der Mauer ca. 5m hoch, hatten vor ein paar Tagen junge Türken noch Steine auf die demonstrierenden Griechen geworfen - zurückgeworfen, wie sie sagten.

Jetzt standen dort oben Kinder hinter dem Zaun und riefen mir zu "You speak English?" "Türkçe biliyorum", rief ich zurück "Nasilsin? Wie geht's?", fragten sie. "Danke, gut, und Euch?" "Auch gut". Ich ging um Roccas herum in die Altstadt hinein. Zwar regnete es nicht, aber ich hatte ein bißchen Feuchtigkeit in den Augen.



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